Abhängen und entspannen.

Abhängen und entspannen, das ist ein nebelverhangener Septembermorgen, den ich mit bayrischen Forstarbeitern und internationalen Pin-Up-Girls in einem Bauwagen verbringe. Drinnen Wurstbrote und Bildzeitung, draußen Regen und noch mehr Regen.

Später sind die Wurstbrote gegessen, die Bildzeitung – na ja, gelesen und draußen: immer noch Regen.
Egal.
Wurstbrote wollen verarbeitet werden.

Also hangelt man sich am Zaun entlang. Der Kollege mit den starken Armen und dem Spannbügel vorneweg.
Ich hinterher. Durch den Nebelwald bis zum ersten Zaunpfosten. Warten auf das Rufen aus dem Nebel. Warten auf die Entspannung.
Sie kommt und der Zaun lässt los.
Also: abhängen. Den Zaun. Der nächste Winter kommt bestimmt.

Und weiter in den Nebelwald hineinstapfen. Über moosbewachsene Baumstämme klettern, Brombeerranken ausweichen, dem Farn im Vorübergehen die Regentropfen von den Blättern streifen. Nass werden. Noch nasser.
Der nächste Pfosten. Entspannen, abhängen, weiter.

Der Kollege ein schemenhaftes, gelbes Männchen in der Ferne, mal schimpfend, mal verschwindend. Nebelfetzen auf dem Grat, Überreste eines hölzernen Gatters, Kuhfladen, Hinweisschilder. Karspitz 1½ Stunden, rot-weiß-rote Markierung, Weg 24. 2 Stunden zum Jochköpfl, rot-weiß-rote Markierung, Weg 25.

Abhängen und entspannen: 1½ Stunden. Immer dem Zaun folgen.

Geschenke.

Musik lockt dich aus deiner Lieblingsbuchhandlung. Musik und der Umstand, dass die Buchhändlerin zu viel redet.

Da draußen sitzt einer und singt.

Zuerst hat dich die Routine noch fest im Griff. Dein Parkticket läuft ab. Du musst zurück zum Auto.
Aber dann bleibst du doch stehen. Hältst inne. Drehst dich um und gehst noch einmal an ihm vorbei. Nur ein junger Mann, der mit seiner Gitarre auf einer Bank sitzt.
Du setzt dich auf die nächste Bank. Starrst auf graues Pflaster, Zigarettenkippen, heruntergefallenes Himbeereis. Schuhe. Zu viele Schuhe laufen an dir vorbei, zu viele Kinderwagen, zu viel Gerede.
Der Mann mit der Gitarre öffnet die Tür zu diesem Raum in dir, in dem es regnet. Immer.

Auf den Pflastersteinen bilden sich Pfützen und du stehst auf, setzt dich zu ihm, vorsichtig, als könnte es alles kaputt machen.

Er lächelt und singt weiter. Singt Antworten auf nicht gestellte Fragen.
„There will be an answer.“ Das kennst du.
„Sometimes all you need is a bright light.“ Das kennst du nicht.

Er singt dir Rosalie zurück: Rosalie in Paris, händchenhaltend mit Matthieu. Rosalie, die mitten im stillen Glück an Zoe denkt und Matthieus Hand fester greift.

Wenn er aufhört, wenn der letzte Ton vom Wind davongetragen wird, hast du Angst. Gleich wird er aufstehen und gehen. Dann bist du allein.
Bitte bleib und sing noch ein Lied vom Regen.

Zoe sagt: Nimm es an, so lange es dauert. Und dann lass es los.

„Wherever you go, stay strong.“

Long Way Down, Tom Odell*

Wenn es irgendwann einmal, vielleicht, dann doch ein Buch geben sollte, eins mit meinem Namen drauf. Und wenn es dann genau so geworden ist, wie ich mir das vorgestellt habe und noch besser –
Dann wünsche ich mir, für dieses Ereignis solche Worte zu finden wie er hier. Wobei das schon genau die richtigen Worte sind, streiche album, record, songs, ersetze durch Passendes aus dem Bereich des Buches und gut ist.

„(…) honesty, sincerity and a rawness (…)“

Oh ja, bitte.

Aber bis dahin sitze ich noch hier und höre dieses zufällig entdeckte Album in Dauerschleife.

 

* Dieser Beitrag wurde geschrieben, um einen Ausgleich zu Phil Collins und Co. zu schaffen. Kann ja nicht angehen.

Hello again*

zahnarztball

Du, isch möschte disch eigentlich überhaupt gar nie wieder seh’n.

Aber der Zahn, der mich im Grunde keinen Nerv mehr kosten kann, weil da nämlich gar kein Nerv mehr ist, tut genau das.
Mitten in der Nacht aufwachen, aber leider nicht, weil die Muse drängelt. Halbwach von einer Seite auf die andere wälzen und darüber nachdenken, was beim letzten Mal schon alles nicht geholfen hat (Ingwer kauen, zum Beispiel). Längst abgelaufene Schmerztabletten herauskramen und darauf warten, dass bei der Zahnärztin des Vertrauens endlich die Rollläden hochgezogen werden.

Die Zahnärztin des Vetrauen hat zur Feier des Tages Abba und Phil Collins aufgelegt. Schmerz lass nach.
Immerhin habe ich als unangekündigte Patientin endlich mal Zeit, Brand Eins zu lesen.

Dann des Rätsels Lösung. Der Nachbarzahn wird unter Verdacht gestellt und tatsächlich, er ist es.
Merke: Wenn man mit einer Wurzelbehandlung gerechnet hat, ist simple Karies fast schon ein Grund zur Freude.

 

* Titel- und Zitatsponsoring by Howard Carpendale
[Ja klar, das ist jetzt nicht viel besser (als Phil Collins und Co.). Aber es passt doch grad so gut.]

I do not want this*

„Was ist des jetzt, Mama? Ist des schlimm?“

Und dann gibt es diese Tage, da will ich gegen einen Baum fahren.
Nein, das will ich natürlich nicht und genau genommen müsste der Satz eher so lauten: Und dann gibt es diese Tage, da übt der Gedanke, gegen einen Baum zu fahren, eine irritierende Faszination auf mich aus.
Ich will nicht gegen einen Baum fahren.

Aber ich will die Nine Inch Nails lauter drehen und irgendjemanden anschreien und über Bäume nachdenken, weil: dann denke ich jedenfalls nicht an blassgelbes Leinen mit weißen Streifen, an ein Metallbett mit einer Plastikschiene am Fußende, einen Zettel mit einem Namen darunter.
Abends sind alle Medibecher blau. Und zum Pulsnehmen eine Sanduhr. 36,4°. Alles in Ordnung? Alles in Ordnung.

Ja klar.

Aber so ist das eben, nicht wahr? Der Kurfürst ist auch schon lange nicht mehr da und die Kastanien in seinem Garten kämpfen mit der Minimiermotte.

„Irgendwann ist halt Schluss“, aber jetzt gibt es noch Erbsen mit Frikadelle und Kartoffelpüree.

 

* Titelsponsoring by Nine Inch Nails, I do not want this aus The Downward Spiral

Schreib doch mal was Lustiges!

Aber ich kann nicht.

Dort, wo die Wörter herkommen, ist tiefste, dunkelste Nacht. Vielleicht mag ich deshalb nicht immer dorthin gehen. Vielleicht stehe ich vor der Tür und weiß: dahinter ist es so dunkel.
Nein, da hilft kein Licht.

J. weiß, was hinter der Tür ist, es ist sein Zuhause. J., wie haben sie dich kaputt gemacht? [Will ich das wirklich wissen?] Sei bei mir. Mach mich das aushalten.
Wer hält das aus? [J. nicht.]

Irgendwo muss sie ja hin, die Dunkelheit. Also flüstert sie mir Worte ein. Du musst von ihnen erzählen, sagt sie. Von den Verlorenen. Von den guten Verlorenen. Und von den bösen. Und von mir.
Also tue ich es, tue, was sie mir sagt.

Ich kann nicht lustig.
Das muss ein anderer übernehmen.

Puff.

Gerade war noch alles gut. So richtig gut. Einer von diesen Tagen. Tage, an denen man beim Bäcker die letzten zwei Mohnbrötchen ergattert, Mohnbrötchen, die genau den richtigen Verdunkelungsgrad haben. Ein Parkplatz direkt vor der Haustür, die Arbeit erledigt sich wie von selbst oder wird von anderen erledigt, ich habe gute Laune, alle haben gute Laune, irgendwie schon ein bisschen unheimlich, so kann das doch nicht weitergehen.

Puff.

Es geht so nicht weiter. Plötzlich ist mir kalt, aber es liegt nicht an den Wolken, die sich vor die Sonne geschoben haben. Die Fleecejacke ist mehr Seelen- als Körperwärmer.
Der Bär muss her. Und die Katze. Ist ja sonst gerade niemand da, um mich mal gründlich in den Arm zu nehmen.

Tapfer sein, es hilft ja doch nix.
Gibt Schlimmeres.
Hätte schlimmer kommen können.
Bald kommt wieder die Sonne raus.
Puff.

Nevermind.

Einer dieser Tage ohne Worte. Tage, an denen ein „Hallo“ schon zu viel verlangt ist. Ein Lächeln nicht denkbar.
Tage, an denen die Musik umso lauter sein muss. Die Welt da draußen, aber ich habe Kopfhörer.
Nur die Katze hat Zutritt. Schmiegt sich warm und weich in meine Hand. Na los, beiß mich, denke ich und sie tut es. Beißt immer nur mich.

Ich kann nicht, kann nicht, kann nicht. Kann mich nicht um das schmutzige Geschirr kümmern. Kann nicht rausgehen. Kann nicht diese Mail schreiben. Kann nur auf dem Sofa liegen, der Katze zusehen, wie sie daliegt und nichts tut, nichts.

Alles ist gut an diesen Tagen, alles ist gut. Nur die Musik noch ein bisschen lauter, jetzt noch nicht der Welt stellen, nur noch dieses eine Lied –

Den Kopfhörer absetzen, um dem Regen zuzuhören.

Vom Sein.

Draußen im Wald ist Sein so einfach. Nichts und niemand, der etwas von mir will, am wenigsten ich selbst. Nichts ist, alles ist.

Drinnen im See, drunten, ist Sein so einfach. Mit dem Wasser schließt sich die Stille über mir, Grenzen verschwimmen, wo fange ich an, wo hört das Wasser auf? Zu sein? Wenn sich alles auflöst, ist dann noch etwas da?

Ich sitze bei den gefallenen Helden: „Unsere Toten mahnen!“; Sonne malt Lichtflecken auf Schotter. Wind steht still und wirft doch ein Blatt zu Boden. Der Herbst ist da. [Mitten im Sommer.]
Menschen laufen vorbei, Karabiner klirren, Helme baumeln. Droben im Fels ist Sein so einfach.

Loslassen.
Fallen.
Nichts ist, alles ist. [So einfach.]

Die Sonne verschwindet hinter Wolken, ich auch.
Dort oben am Himmel
[ ]