Alles wird gut (und dreht sich im Kreis).

Es gibt Tage, vor denen ich ein klein wenig Angst habe. Weil alles mögliche passieren könnte: Probleme, bei denen ich nicht weiter weiß, für die ich aber eine Lösung brauche, schnell, doch mir fällt keine ein und alle, die ich fragen könnte, sind nicht aufzufinden.
Vor diesen Tagen verbringe ich Stunden damit, mir Gedanken zu machen. Immer so ganz nebenbei, denn wenn ich sie bemerke, die Gedanken, versuche ich, sie davonzujagen, sage ihnen, sie seien absolut nicht notwendig, bisher hat doch auch immer alles geklappt. Am Ende.
Und siehe da, das tut es auch an diesen Tagen; die, vor denen ich Angst hatte. All das, über das ich mir Gedanken gemacht habe, ist überhaupt kein Problem. Oder trifft nicht ein. Weil ja doch immer alles anders kommt.

Es gibt Tage vor denen ich gar keine Angst habe. Tage, an denen ich die Ruhe selbst bin. Oder total in Schwung und der Meinung, alles werde sowieso von ganz allein laufen.
Weil ja doch alles anders kommt, sind das die Tage, an denen unvorgesehene Probleme auftauchen, eins nach dem anderen, oder vielleicht auch zwei auf einmal. Lösbare natürlich, aber hätte ich sie vorausgeahnt, hätte ich endlich triftige Gründe gehabt, mir vermeintlich unnötige Gedanken zu machen.
Dann wiederum wären all die Probleme vermutlich gar nicht aufgetreten.

[Übrigens: Auch hier ist jegliche Sorge unbegründet. Die aufgetretenen Probleme haben die Größenordnung nicht funktionierender Spülmaschinen.]

Du machst es einfach.

Frau N. schreibt darüber, was ein gutes Buch ausmacht. Ich lese, was Frau N. über gute Bücher schreibt und nicke. Und nicke. Und nicke.
(Nein, ich nicke nicht wirklich, wenn ich so allein vor meinem Rechner sitze. Aber die innere Einstellung, Sie wissen ja.)
Wenn ich in einen Buchladen gehe, ein Buch aufschlage, hineinlese und mindestens dreimal in Lachen ausbreche, nehme ich das Buch normalerweise mit nach Hause.
Jetzt wäre es praktisch, wenn mir noch ein Beispiel dazu einfallen würde, tut es aber nicht, dummerweise kann ich mir am Ende dann doch nur die Bücher merken, die weh tun.

Das hier zum Beispiel: Die Sehnsucht der Albatrosse, von Karin Seemayer. Das tut unter anderem deshalb weh, weil eine der Hauptfiguren, der Matrose Peer Svenson, einmal zu oft den Mund aufmacht, um für das einzustehen, was er für richtig hält.
Geht nicht so gut aus. Für ihn. Aber er kann eben nicht anders und unter anderem deshalb ist er einer von denen, die mir in Erinnerung bleiben werden.
Noch dazu bekomme ich nebenbei und unauffällig ein bisschen Unterricht über Robbenjagd, Schiffe und die Welt, die damals einmal eine ganz andere war.
(Gelacht habe ich übrigens auch das eine oder andere Mal. Fällt mir gerade auf.)

Frau N. erwähnt außerdem die Jugendbücher, auch da nicke ich, Jugendbücher, richtig gute Jugendbücher tun oft am meisten weh, mir jedenfalls, vielleicht, weil ich die Sache mit dem erwachsen werden noch nicht so ganz abgeschlossen habe.

Gerade habe ich Das Schicksal ist ein mieser Verräter verliehen (John Green, übersetzt von Sophie Zeitz), davon haben Sie vermutlich schon mal was gehört.
Von dem hier vielleicht noch nicht: Adios Nirvana von Conrad Wesselhoeft, übersetzt von Karsten Singelmann. Ein Buch vom sich finden. Sich finden ist immer gut, aber schwierig, für mich jedenfalls. Ein Buch auch vom Sterben, letztlich fragte mich jemand nach einem gutem Buch, in dem es NICHT ums Sterben geht, in dem niemand stirbt, gestorben ist, niemand todkrank ist. Mir fiel keins ein.
Jedenfalls Adios Nirvana, auch dort geht es darum, was ein gutes Buch ausmacht:

„Wenn man auf die Musik die gleichen Prinzipien anwendet wie auf die Dichtung – brutale Ehrlichkeit, die Bereitschaft, das Innerste nach außen zu kehren -, wird man automatisch besser.“

Streiche nun wieder Musik, ersetze durch Literatur, das ist dann das, wo ich hinwill (als Schreibende). Es ist auch das, was Angst macht, aber dazu dann gleich noch ein Zitat, immer noch dasselbe Buch:

„Aber wie soll ich das alles schaffen in drei Wochen?“
„Du machst es einfach.“

Ole Brumm will nicht mehr.

Heute sah der Plan so aus: nach H. fahren.

Nicht so schwer umzusetzen, eigentlich. Man setzt sich ins Auto, hofft auf gute Musik im Radio, wird enttäuscht und kommt schließlich an. Was soll da schon dazwischen kommen, na gut, vielleicht ein Stau auf der Autobahn.
Oder ein Auto, das plötzlich nicht mehr will. Dumm, wenn es das eigene ist.
Plötzlich selbst einen kleinen Stau verursachen, immerhin schon abseits der Autobahn, auf leicht abschüssiger Strecke und sogar noch rechtzeitig geschaltet, in den Leerlauf nämlich, und das Auto auf einen Parkplatz bugsiert.

Wenn es anders kommt, als man denkt, kommen meist auch andere Leute mit ins Auto Boot Spiel. A. zum Beispiel, die ich gar nicht angerufen habe, als ich zusammen mit dem renitenten Auto auf dem Parkplatz stand und dachte: Was nun?
Ich habe H. angerufen, die aber hat das Telefon an A. weitergegeben; A., die gleich fragt, ob sie mich abholen soll. Das wäre super, danke.
A., die mich zur Autowerkstatt fährt, wo ich erneut die Geschichte mit dem renitenten Auto erzähle. Und E., der seinen Werkstattkoffer und mich in sein Werkstattauto steckt, um dem renitenten Auto klarzumachen, wer hier das Sagen hat. Das renitente Auto gibt sich schon gar nicht mehr so renitent wie zuvor, was wiederum E.s Vermutungen über die Gründe des plötzlichen Trotzanfalls bestätigen.

So nimmt die Geschichte ihren Lauf. Es kommen noch andere Leute darin vor, denen ich die Geschichte vom renitenten Auto erzähle; Leute, die ebenfalls Hilfe aller Art anbieten, ohne dass ich groß danach gefragt habe.

Ist das toll.
Danke.

(Falls Sie sich über die Überschrift wundern: Ich gehöre zu den Leuten, die der Meinung sind, man könne müsse auch dem Auto einen Namen geben.
-> Ole Brumm)

Moralische Inkompatibilitäten.

Alles ist für irgendwas gut. Verfrühte Abreisen aus Deutschlands Norden führen zum Beispiel dazu, vergangenen Sonntag nichts, aber auch gar nichts vorgehabt zu haben und daher endlich einmal etwas tun zu können, was ich bestimmt schon seit drei Jahren tun will: zum Pferderennen gehen.
Hat nie geklappt, weil: immer ist irgendwas.
(Natürlich bin ich daran selbst schuld – ich und meine fragwürdige Kompetenz im Prioritäten setzen.
Wie auch immer.)

Letzten Sonntag war jedenfalls nichts, gar nichts. Außer Pferderennen.

War super.
Leider.

Einen Tag und zwei Mausklicks später haben sich meine Ahnungen bestätigt: Pferderennen und ein ruhiges Gewissen meinerseits sind leider nicht kompatibel.

Bleibt nur der Jahrmarkt. Irgendwie nicht wirklich das Gleiche.

Urlaubs(in)kompatibilitäten.

Deutschlands Norden und ich, wir werden wohl keine besten Freunde mehr. Wiederholt enden Versuche der Annäherung in überstürzten Abreisen, für die es keine erklärbaren Gründe gibt.

So auch jetzt.

Die Idee sah so aus: Von Berlin an die Ostsee. Zu Fuß. Oder zu Wasser.

Die Umsetzung dieser Idee endete im Hafendorf Rechlin und auch wenn das Hafendorf Rechlin nicht der Grund unserer überstürzten Abreise ist, ist es auf jeden Fall der Auslöser. Das Hafendorf Rechlin ist eigentlich gar kein richtiges Dorf, es besteht hauptsächlich aus Ferienhäusern. Warum man ausgerechnet dort Urlaub machen sollte, erschließt sich uns nicht. Na gut: Die Müritz. Das Naturschutzgebiet drumherum.

Wie auch immer. Wir saßen dort zwei Stunden fest und fanden es … öd.

Aber das macht ja nichts, so ein Tiefpunkt kommt immer, darauf ist Verlass. So ein Tiefpunkt geht auch wieder, auch darauf ist Verlass.
So auch diesmal: Auf der anderen Seite der Müritz schien schon wieder die Sonne (am Himmel, im Gemüt).
Trotzdem packten wir am nächsten Tag ein letztes Mal unsere Rucksäcke, wanderten zum Bahnhof und machten uns auf die Heimreise.

Dabei war es schön, da oben im Norden.

Lobe den Herren.

Kürzlich war ich zu einem Konfirmationsjubiliäum geladen. 50, 60, 65 Jahre – der Pfarrer lud zum Rückblick. Während mir sofort der eine einfiel, der fehlt, fiel dem Pfarrer das Schaffen ein.

Schaffen – der Nicht-Süddeutsche denkt jetzt vielleicht an erschaffen, gestalten. Der Süddeutsche versteht darunter das Arbeiten. Arbeiten wie: sich anstrengen. Für acht Kinder Essen kochen, waschen, den Haushalt führen. Nebenbei noch Äcker haben, auf denen das Essen heranwächst, aber nur, wenn man Aufwand und Mühe hineinsteckt. Dann noch die Tiere versorgen, Tiere, die ebenfalls zum Essen da sind, nicht zum Streicheln oder Liebhaben. Und schließlich noch all das, womit Geld verdient werden muss.
Der Pfarrer sagte, der Faule könne nie glücklich werden, die Arbeit an sich sei das, was glücklich mache, sie sei auch das, was übrig bleibt, das, wovon man später erzählt, das, worauf man zurückblickt, worauf man stolz ist, was einen erfüllt. Das erlebe er in Gesprächen mit älteren Menschen immer wieder, sagte der Pfarrer.

Ob er wohl die falschen Fragen stellt?

Der eine, der fehlt, hielt auch viel vom Arbeiten. Hat viel gearbeitet. War er glücklich? Ich hoffe. Ist es das, was mir in Erinnerung bleibt? Nein. Mir bleibt in Erinnerung, wie er sich auf einen Nebensatz hin davongestohlen hat, um wenig später mit einem Kuchen zurückzukommen und mein verdattertes Erstaunen mit einem verschmitzten Lächeln zu kommentieren. Seine unbändige Freude darüber, jemanden glücklich zu machen.

Erst das Wie macht das Was, hat Ferdi hier geschrieben. Für mich ist es das Wie, das bleibt. Nicht das Was.

Sarojasattel.

Oder: Mal eben von einem Land (Österreich) ins andere (Liechtenstein) gewandert.

Mal eben – das ist natürlich gelogen. 1.000 Höhenmeter hinauf, 1.000 Höhenmeter hinunter. Hinunter sendet das Knie gegen Ende vermehrt „jetzt reicht es aber wirklich“-Signale und ist kurz vor dem Einknicken. Hält dann aber doch.
Ja, es reicht. Auch wenn ich am liebsten gleich wieder hinauf will. In die Stille, die laute Stille, die alles übertönt.

Wind, der an Felsen abprallt, sich aufschwingt und wieder abfällt; Wind, der zieht und zaust, der sichtbare und unsichtbare Dohlen im Gepäck hat; Dohlen, die sich in Tiefen fallen und in Höhen hinauftreiben lassen, spielend, mühelos, leicht.

Stille. Auch wenn eine Hummel an mir vorbeibrummt, der Wind im Zusammenspiel mit Tannenwipfeln und Felswänden die Krimmler Wasserfälle imitiert; Stille, auch wenn eine Herde Kühe glockenbimmelnd und Gänseblümchen fressend den Hang entlang zieht.
So still.

Keine Gedanken mehr in meinem Kopf. Kein sollte, müsste, könnte, hätte, wenn doch nur, was soll nur, wie und was und wohin eigentlich.

All das, was da unten über mich hereinbricht, kaum dass ich morgens die Augen öffne, ist da unten geblieben. Mit jedem Schritt verliert es an Einfluss. Der Berg verlangt meine Aufmerksamkeit. Auch das ist gelogen: er verlangt nicht, er bekommt. Steht da und steht. Mehr nicht. So viel.

Anfang? Ende?

einEnde

„Mit welcher Systematik gehst du denn da ran?“
„Ich fang vorne an und hör hinten auf.“
„Du wirst nicht glauben, dass da irgendwann ein Ende kommt?“
(aus dem Trailer des Kinofilms „Wir sind die Neuen“)

Kaum habe ich die Wäsche im Kleiderschrank untergebracht, ist schon wieder eine Waschmaschine zu füllen. Gerade komme ich mit der abgehakten Einkaufsliste vom Supermarkt zurück, greife ich nach der letzten Rolle Klopapier. Erst gestern habe ich ein Stück Garten vom Wucher befreit, heute ist alles schon wieder zugewachsen.
In dem Hörbuch*, das mich momentan begleitet, sträubt sich einer der ermittelnden Polizisten dagegen, den kaputten Scheibenwischer an seinem Auto zu ersetzen. Täte er es, würde ja nur wieder etwas Anderes kaputt gehen.

Ich kann ihn gut verstehen.
Es hört einfach nie auf.
Oder vielleicht doch.

 

* Håkan Nesser, „Die Frau mit dem Muttermal“

Wenn die Luft steht (II)

Wenn die Luft steht, macht Autofahren Freude. Trotz aller Sitzfestkleberei und zerzauster Haare (die Fenster müssen natürlich geöffnet sein – Klimaanlage ist was für Amateure). Dann noch die richtige Musik und – hey! – schon haben die Radiomenschen jemanden glücklich gemacht. Mich.
Ja, so leicht geht das.

Leicht?

Leider ist das mit der richtigen Musik im Radio so eine Sache. Die kommt da nämlich nie. Kaum. Und wenn, erwische ich meist nur die letzten Takte. Dann fangen die wieder an zu quatschen oder es kommt ein dämlicher Jingle, so etwas wie: man spiele gerade sechs Lieder am Stück und das sei ganz toll, das gäbe es nirgendwo sonst, ohne Unterbrechung, sechs Lieder am Stück und wirklich gar keine Unterbrechung.
Bevor das nächste Lied beginnt, bin ich längst bei einem anderen Sender gelandet. Nur: da ist es auch nicht besser.

Der geneigte Leser könnte sich jetzt natürlich fragen, warum ich nicht selbst für die richtige Musik sorge. Tja. Mein Auto kann nur Radio und Kassette. Ja, Kassette; und ja, diesen Zustand könnte man bestimmt ganz leicht ändern.
Aber nein, stattdessen nehme ich Kassetten auf. Oder: nehme mir vor, Kassetten aufzunehmen. Kassetten aufnehmen ist tendenziell eine eher umständliche Sache und meist dauert es ungefähr fünf aufgenommene Lieder lang, bis ich die Lust daran verliere. Beim nächsten Aufnehmen habe ich vergessen, was ich beim letzten Mal aufgenommen habe und nehme die gleichen fünf Lieder noch einmal auf.
Irgendwann landet die Kassette im Auto und ich hör sie und hör sie und hör sie, bis ich sie nicht mehr hören kann.
Dann wieder Radio.

Aber: Alles wird gut. Denn: am Ende der Fahrt: der Baggersee (ein anderer). 24° Wassertemperatur, die Dame an der Kasse wartet schon auf uns.

 

Wenn die Luft steht*.

„Das würdest du doch auch machen“, sagt die eine Frau zur anderen Frau hinter uns. Sich in die Schlange drängeln einreihen, meint sie. Der Schlange zum Badesee. 23,2° Wassertemperatur. Wäre man nur schon drin.
Während die Schlange vor sich hin steht, macht der MMM im Fünf-Minuten-Takt Vorschläge, wie hier alles besser schneller laufen könnte.

„Hm, ja, stimmt schon“, gibt hinter uns die andere Frau der einen zur Antwort.
Natürlich würde man das genauso machen. Würde man nur jemanden kennen. Weiter vorn in der Schlange. Zu dem könnte man gehen, lässig Hallo sagen und die missbilligenden neidischen Blicke der Dahinterstehenden gekonnt ignorieren.

Ich sonnenverbrenne mir die Schultern, während die Frauen hinter uns den Schuldigen der Misere Warterei finden: die Stadt.
Die Stadt, das sagt auch die Frau, die später ihr Handtuch neben uns ausbreiten wird. Man ist sich einig.
Die Stadt betreibt diesen Badesee. Dieses Jahr hat die Stadt ein neues Kassensystem eingeführt. Das neue Kassensystem braucht vier Sekunden, um einen Kassenbon auszudrucken. Der MMM hat das während des Schlangestehens mal eben hochgerechnet und kam dabei auf eine Zahl, die alles einiges erklärte.

Aber das Problem steht ja auch vor der Kasse.
Man steht da nämlich so. Verbrennt sich die Schultern. Guckt missbilligend diejenigen an, die drei Meter weiter vorn jemanden kennen, lässig Hallo sagen, sich einreihen und so tun, als gäbe es die missbilligende Blicke um sie herum gar nicht. Das Rot der Schultern wird noch einen Tick intensiver, während man über Prozessoptimierung nachdenkt und zuhört, wie die Leute hinter einem über Prozessoptimierung reden.
Und dann: – Huch! Nicht zu fassen! – Ist man plötzlich dran. Wo ist nur der Geldbeutel? Wie viel kostet das? Was, Sie brauchen einen Schülerausweis? Warten Sie, ich hab die 3 Euro 30 auch in 1-Cent-Stücken.

23,2°
Alles wird gut.
 

* Titelsponsor heute: die Fantastischen Vier: Raus. Das hat zwar inhaltlich rein gar nichts mit heißen Tagen zu tun, nichtsdestotrotz fällt mir die Zeile nahezu an jedem heißen Tag mindestens einmal ein.