Dreierlei Schnipsel.

Mit m zur Bahn gelaufen. Nicht zur üblichen Haltestelle, sondern eine weiter – weil noch so viel Zeit war. Dann aber:
Kladatsch! Ich drehe mich um – die ältere Frau, die wir zwanzig Schritte zuvor überholt haben, liegt jetzt der Länge nach auf der Straße. Auweia. Gar nicht gut.
Die Welt aber, die ist dann doch nicht so schlecht, wie einem gern mal weisgemacht wird. Zahlreiche Helfer versammeln sich, rufen Krankenwagen, bringen eine Decke, fragen, ob sie gebraucht werden. Und nur eine Frau, die sich ihren Kommentar hätte sparen können.

m und ich werden schließlich auch nicht mehr gebraucht und setzen unseren Weg fort. Von weitem ist schon der Krankenwagen zu hören.

*

Am Nachmittag laufen m und ich an der blauvioletten Krokuswiese vorbei. Ich denke an K. und daran, dass ich die blauviolette Krokuswiese ohne sie vielleicht nie bemerkt hätte.
Mittlerweile ist es so, dass K. nichts mehr bemerkt.
Ich denke an Palermo Shooting, die Szene, als Finn auf sein Handy sieht, X Anrufe in Abwesenheit, liest er vor und fragt sich, wann und ob er überhaupt jemals anwesend war.
So ziemlich die einzige Szene, die mir vom Film in Erinnerung geblieben ist. Ja, dachte ich. Wann war ich eigentlich anwesend?
Aber jetzt, mit K., da hat sich diese Frage erledigt. Das ist Abwesenheit.
Später treffen wir noch Frau B.
Ich habe geklingelt, sagt Frau B., aber sie hat nicht aufgemacht. Da kann ich leider nichts machen.
Ja, da kann man wohl nichts machen. Und K. verschwindet noch ein bisschen mehr.

*

Mit Zuhause telefoniert. Telefonieren, das ist nicht gerade das, was wir am liebsten tun, daher sind die Telefonate meist ziemlich kurz. Aber immer mit dabei: Diese Freude, dass man da ist. Dass der andere noch da ist. So schön.

Im Wald, da gibt es Bäume.

Ich fürchte, ich wiederhole mich, aber eventuell sind Sie ja ähnlich vergesslich wie ich. Jedenfalls: Wald.
Ich war heute im Wald. Endlich. Ungefähr ein Jahr lang dachte ich, das ginge nicht. Jetzt gehöre ich zu denen, die mit dem Auto in den Wald fahren. Nun ja. Man muss Prioritäten setzen, noch dazu lese ich gerade ein Buch über Flow, das heißt, lesen tue ich es eher nicht, mehr so hineingucken, jedenfalls, darin steht, man solle dafür sorgen, ausreichend Flow-Erlebnisse zu haben und schwimmen ist ja nun noch schwieriger als Wald und alles andere, ach, ist ja auch egal, noch dazu war heute Freitag, da sollte man sowieso tun, was einem Spaß macht, ich war also im Wald und Wald! Wald ist toll.

Und funktioniert. Wenn das Leben gerade nicht in die Kategorie „Was schön war“ einzuordnen ist (also eigentlich doch, vor allem vergleichsweise, aber ach, egal), wenn einen noch nicht einmal die Zahnärztin lobt, dann sollte man in den Wald gehen, oder fahren, in meinem Fall. Das funktioniert prima, ich steige aus dem Auto, denke: Wald! Wald! Wald! und dann denke ich erst mal überhaupt nicht mehr.

Muss natürlich ein echter Wald sein. Heißt: da begegnet einem niemand. Außer die obligatorische Frau mit Hund. Und irgendwo dröhnt eine Motorsäge. Vögel natürlich. Der Wind raschelt mit irgendetwas, das noch vom letzten Jahr in den Bäumen hängt, aber sonst: nix.

Hach.

Alles gut also, abgesehen von dem Gedanken, weitergehen zu wollen, weiter und weiter und weiter und noch weiter. Was nicht geht, oder vielleicht doch, aber dazu ist mir noch keine Lösung eingefallen. Knappe fünfundvierzig Minuten müssen daher reichen. Fürs erste.

Das habe ich ganz toll gemacht.

Heute habe ich mal wieder meinen Zahnarztball geknetet.Und das neue Album von Adele gehört. Als ich das letzte Mal eine längere Zahnarztsitzung hatte, haben sie mir noch einen CD-Hefter in die Hand gedrückt. Dieses Mal bekam ich einen I-Pod. Bis ich heraushatte, wie man den bedient*, ging es auch schon los. Doch die SpontanPanikwahl Adele haute ganz gut hin, Adele hat eine sehr tröstliche Stimme.

Überhaupt Trösten. Vor mir war ein kleiner Junge in Behandlung, hatte sich ein Stück Zahn abgebrochen. Das machst du ganz toll, bekam der mindestens zehn Mal gesagt (so hörte ich im Wartezimmer).
Das mit dem „toll gemacht“ können Sie zu mir auch sagen, sagte ich der freundlichen ZFA, als sie mich zum Stuhl des Grauens führte. Sie lachte, dabei hatte ich das durchaus ernst gemeint.
Ich bekam folglich kein einziges „Das machen Sie ganz toll“ zu hören, obwohl ich meiner Meinung nach ziemlich tapfer war, vor allem, als die freundliche ZFA gleich zwei Mal einen Abdruck aus mir heraushebeln musste. Man braucht ordentliche Armmuskeln als ZFA.

Die freundliche Zahnärztin fragte, ob ich eine Betäubung wolle. Aber hallo, natürlich will ich eine Betäubung.
Blöd nur, dass ich jetzt, wo alles überstanden ist, Hunger habe, meine rechte untere Gesichtshälfte sich allerdings noch nicht wieder so anfühlt, als würde sie zu mir gehören.
Die Belohnungsbrötchen, die ich mir vom lustigen Bäcker mitgebracht habe, müssen also noch warten.

Und in zwei Wochen wieder.
„I miss you“, sang Adele. Nun ja. Eher nicht.

 

* Ist ja eigentlich ganz einfach. Aber hey, ich war gerade bei der Zahnärztin und in Panik.

32.202*

Wir reden mit P. über Farben.
„Diese Baumarktfarben“, sagt P., „die gehen gar nicht. Kann ich Ihnen jedenfalls nicht empfehlen, da müssen Sie drei Mal streichen, bis das deckt, bei kräftigen Farben vielleicht sogar noch öfter.“
Ich denke an unsere Schlafzimmerwand. Mit etwas viel gutem Willen könnte man das als Wischtechnik verkaufen. P. gegenüber wohl eher nicht.
„Weiß“, sagt P., „Weiß ist ideal, gerade mit Kindern. An der Treppe und an den Lichtschaltern, da werden Sie immer Flecken haben. Mit Weiß können Sie einfach drüber streichen, über die Flecken. Bei Farbe müssen Sie die ganze Wand streichen, sonst haben Sie unterschiedliche Farbtöne, auch wenn sie genau die gleiche Farbe verwenden, das sieht einfach nicht gut aus.“
Niemals P. in unsere Wohnung lassen, denke ich. Überhaupt niemanden, der etwas von Farbe versteht.

Als nächstes reden wir über Tapeten**.
„Das gute an der groben Raufaser“, sagt P., „da können Sie in fünfzehn Jahren fünf Mal drüber streichen. Eher noch öfter. Überhaupt kein Problem.“
Im Stillen rechne ich nach. Fünfzehn Jahre, das haut ungefähr hin, in etwa so lange wohnen wir in unserer jetzigen Wohnung. Gestrichen haben wir genau ein Mal. Beim Einzug.

Am Abend sitzen der MMM und ich in eben dieser Wohnung und betrachten Wände.
„P. würde uns wohl eher nicht einstellen“, sage ich.
„Ach was“, sagt der MMM. „Das sind nur die Baumarktfarben.“

 

* Farbtonnummer
** Leider. Wir hätten lieber über Putz geredet, aber das hätte unser Budget gesprengt.

Menschen.

Gerade las ich Hausbesuche von Stephanie Quitterer. Ziemlich vereinfacht zusammengefasst geht es in dem Buch darum, bei Fremden an der Tür zu klingeln und um Einlass zu bitten.
Irgendwo auf den letzten Seiten fällt das Wort Herzwärme (oder war es herzwarm?) und ich dachte, ja genau, so ist das mit diesem Buch, fast hätte ich es augenrollend aussortiert, aber dann wurde mir so warm ums Herz, so die-Welt-ist-gut-und-die-Menschen-auch.
Wobei das für mich jetzt nicht so die Neuigkeit ist, ich glaube da eigentlich schon länger dran (ans Gute), aber es schadet auch nichts, das ab und an von anderen bestätigt zu bekommen.

Neuerdings, also seit m, komme ich ja auch mit den Leuten ins Gespräch, oder was heißt ins Gespräch, die Leute sagen so etwas wie „Wie süß! Meine [Tochter|Kinder|Enkel|…] …“ und dann reden sie und reden und ich sage „Hm“ oder „Ach ja?“ – das ist manchmal ein bisschen ermüdend, aber meistens auch ziemlich interessant, da sitzt einem zum Beispiel in der Straßenbahn eine ältere Frau gegenüber und die sieht total harmlos und normal aus und dann erzählt sie von ihrer Tochter, die sei nämlich gerade in den USA, würde dort wohnen und arbeiten und ich wundere mich, weil die Frau so normal aussah. Nicht, dass es so außergewöhnlich wäre, eine Zeitlang in den USA zu leben, aber die Frau sah eben mehr so nach „und die Tochter arbeitet irgendwo im öffentlichen Dienst und zwar schon seit zwanzig Jahren und die nächsten zwanzig auch“ aus.

Auch so ein Ding, das Frau Quitterer in ihrem Buch anspricht, das Schubladendenken und „der sieht doch so und so aus.“ Und wie man sich täuschen kann.

Auf den letzten Seiten schreibt sie, dass sie das Projekt „an Türen klingeln“ mit der Fremde-Hereinlass-Übung ablöst oder zumindest mit dem Hereinlassen von Freunden.
Da musste ich dann spontan an eine mir bekannte Berliner Dachterrasse* denken, aber das nur nebenbei, hauptsächlich dachte ich an 2017 und dass ich mich schon seit einem Monat bei diversen Leuten melden will und das einfach nicht auf die Reihe bekomme, unter anderem natürlich, weil ich Menschen des öfteren tendenziell anstrengend finde.
Keine Menschen ist allerdings auch nicht so das Wahre**.
Heute Abend!, nahm ich mir also vor, aber wie das nun mal so ist, zuerst kam alles mögliche dazwischen, dann wollte m nicht mehr alleine schlafen und jetzt bin ich müdemüdemüde oder zumindest wäre es schlau, schlafen zu gehen.

Aber morgen. Morgen klingle ich an Türen.

Beim rM und dann finde ich endlich heraus, wie die alle zusammengehören und was es mit den bodentiefen Fenstern auf sich hat.

Äh.
Vielleicht auch nicht.

Aber den Brief an B., den könnte ich wirklich endlich mal schreiben.

 

*
Hach.
*seufz*

** Das Gute ist ja, dass sich Menschen auch ohne mein Zutun bei mir melden. Ansonsten wäre ich sicher schon ziemlich vereinsamt, aber nein, auf einmal ruft jemand an und/oder kommt vorbei und wenn ich ganz viel Glück habe, bringt derjenige sogar Brötchen mit, wenn ich noch mehr Glück habe, Croissants; nur Käsekuchen, da muss ich noch daran arbeiten.

WmdedgT – Februar 2017

Huch, schon wieder der Fünfte. Frau Brüllen will wissen, was ich heute so getan habe.

Das war so: Ich habe ziemlich viel geschlafen. Erst gegen 5:30 Uhr meinte m, sie wolle jetzt wirklich nicht mehr allein in ihrem Bett liegen. Dann wurde es ein wenig eng, wir waren nämlich nicht zu Hause, komischerweise ist das Bett anderswo theoretisch genauso breit, aber praktisch und gefühlt dann eben doch nicht, ich lag also eine Weile im Halbdunkeln und habe mich bemitleidet, weil ich ob der Enge niemals nicht nochmals einschlafen würde, aber genau das tat ich dann wohl doch, denn als ich, beziehungsweise m, wieder aufwachte, war es überraschenderweise schon nach acht Uhr.
Da war es dann wiederum ganz praktisch, nicht zu Hause zu sein – der MMM brachte m nämlich ein Stockwerk höher und das große Ausschlafen ging weiter.

Nach dem großen Ausschlafen starteten wir das große Frühstücken und eine mittlere Spazierrunde. Nach so einer Spazierrunde hat man natürlich schon wieder Hunger, da ist es dann auch ganz praktisch, wenn am Abend zuvor Geburtstag gefeiert wurde, denn natürlich war von fast allem noch irgendwas da, sogar, als wir erneut davon gegessen hatten.

Dann verging eine dieser merkwürdigen Stunden, von denen ich hinterher nicht mehr weiß, was in ihnen eigentlich geschah, ziemlich sicher baute ich ein paar Türme mit m, räumte alles mögliche aus dem Weg und sah aus dem Fenster. Was ich nicht getan habe: darüber nachdenken, wie der Tag weitergehen sollte, das war ein Fehler, denn zack, wurde mir ein Plan vorgeschlagengegeben und dann begann der Teil des Tages, an dem ich nichts mehr mit mir anzufangen wusste, also ich wusste schon, aber gegen das, was ich wusste, sprachen allerlei Gründe, ich motzte also ein wenig herum, trug ein paar Stühle umher, motzte noch mehr herum, trug noch mehr Stühle umher, hätte gern noch mehr Stühle umher getragen, da war man wenigstens in Bewegung und wenn ich schon keinen Berg hochklettern oder schwimmen gehen konnte, dann wenigstens Stühle tragen. Nun ja. Wir gingen dann doch noch ein bisschen raus, passten auf, dass m nicht einschlief, kamen zurück, aßen schon wieder, räumten allerlei Zeug ins Auto, es gab eine Abschiedsszene und wir fuhren nach Hause.
Ich zählte nur ungefähr zwölf Mal auf siebzehn, dann war m eingeschlafen und blieb eingeschlafen, bis wir vor unserer Haustür das Auto parkten. Es geschehen noch Zeichen und Wunder.

Während m schlief und der MMM sich über andere Autofahrer aufregte, nur ganz leise natürlich, währenddessen schrieb ich Sätze in mein Notizbuch, zwischendurch sah ich aus dem Fenster und dachte über die nächsten Sätze nach, sehr schön war das.

Zu Hause gab es natürlich wieder was zu essen, der MMM baute Türme mit m, ich durfte noch mehr schreiben, dann wieder essen, m einschlafen, mal eben ein schlechtes Buch überfliegen, noch mehr schreiben.

Doch, ich bin recht zufrieden mit diesem Fünften.

Nirgendwo, nirgends.

Und dann sagt wieder einer was. Gar nicht mal zu dir, einfach so, in die Runde hinein. Hat auch nichts mit dir zu tun, das Gesagte.
Es ist gesagt und du bist draußen. Nicht deine Runde, schon wieder. Die ganze Zeit an der Illusion gebastelt, doch irgendwie dazuzugehören. Tust du aber nicht (nirgendwo, nirgends).

Keiner sieht dich (nirgendwo, nirgends). Du siehst dich ja selbst nicht.

raus! – so war das eigentlich nicht gedacht.