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Es ist kompliziert. Allein unterwegs sein, dafür muss ich mir nichts zutrauen, dafür brauche ich keinen Mut. Vielleicht war es mal so, vielleicht habe ich mal welchen gebraucht, aber das wäre dann so lange her, dass ich es längst vergessen habe. Und vielleicht habe ich mir das damals auch nicht zugetraut, dieses allein unterwegs sein, aber siehe da, es ging und was für ein Spaß das doch ist.

Vielleicht gibt es also gar keinen Widerspruch. Oder doch, aber vieles ist ein Widerspruch.

Zum Beispiel Entscheidungen. Man gebe mir eine Speisekarte, ich lese sie mir durch und Zack, weiß ich, was ich essen will (im Normalfall). Andererseits kann ich tagelang überlegen, ob ich jetzt oder morgen das Bad putze (im Normalfall eher morgen).

Oder diese Gruppensache.
Ich wundere mich ja des öfteren darüber, über was sich andere Leute so Gedanken machen. Dass die Fenster ordnungsgemäß geputzt sind. Was man alles sein und tun muss, um „eine gute Mutter“ zu sein. Oder überhaupt ein guter Mensch. Ob man einfach so den Seminarraum verlassen darf oder nicht. Ob man eine Putzhilfe in Anspruch nehmen darf.
Und vieles andere mehr, meist im Hinblick darauf, was „die Leute“ wohl von einem denken.

Ist mir das so egal, was die Leute von mir denken.

Ich war mal bei einem Seminar, da sagte eine Teilnehmerin, sie hätte sich vorher Sorgen darüber gemacht, ob die anderen Teilnehmerinnen sie wohl mögen würden.
Ich hingegen hatte mich gefragt, ob ich die anderen mögen würde.
Vielleicht liegt das daran, dass ich davon ausgehe, dass mich die anderen ja eh mögen. Warum sollten sie nicht, sie tun es doch bisher auch meistens. Und selbst wenn nicht, dann ist das deren ihr Problem und nicht meins.

Und nun kommt der Widerspruch, denn andererseits wundere ich mich dann auch darüber, dass mich jemand in seiner Gruppe dabei haben möchte. Mich? Echt jetzt? Nun denn. Ich freue mich, mache gegebenenfalls mit und sehe überall Zeichen, dass ich eigentlich doch nicht dazugehöre und die anderen sich nur nicht trauen, mich wieder rauszuwerfen. Ich neige dann dazu, mich auf die eine oder andere Art andauernd versichern zu müssen, tatsächlich dazuzugehören oder aber still und heimlich der Meinung zu sein, eben nicht dazuzugehören und mich mehr oder weniger ausgeschlossen zu fühlen, obwohl ich doch dabei bin und überhaupt keinen Grund habe, alles anzuzweifeln.

*

Was auch kompliziert ist:
Kürzlich fragte mich jemand, worum es in der Stapelverarbeitung denn eigentlich ginge.
Nichts schlimmeres als diese Frage.
Es soll ja Schreibende geben, die nichts lieber tun, als über ihre Geschichten und Figuren zu erzählen. Ich hingegen möchte jedem am liebsten nur „dann lies es halt selbst“ an den Kopf werfen.
In diesem Fall bot sich diese Antwort nicht unbedingt an, daher sagte ich erst einmal sehr lange Zeit gar nichts, bevor ich schließlich anfing, ähms und öhms aneinander zu reihen.
Der Fragende war da schon mehr auf Zack, fragte Sachen wie: Liebesgeschichte? Familiengeschichte? Historische Erzählung?
Ich verneinte munter drauflos und wusste noch immer nicht weiter.
Familiengeschichte – das vielleicht noch am ehesten. Kaputte Familie, versteht sich.

In Sachen Stapelverarbeitung tut sich momentan auch nichts. Das heißt, ich tue momentan nichts dafür. Weil es so viel anderes zu tun gibt.
Das ich allerdings auch nicht tue.
Aber hey, die Heizungsfrau hat sich gemeldet. Ganz von selbst.
(Sofern man das nach x Nachfragen noch so nennen kann.)

Märchen erzählen

Ich falle immer wieder darauf herein. Gestern kam ich mir unfassbar produktiv vor, wegen allerlei Dingen, vor allem aber, weil ich einen Termin bei der Frauenärztin hatte und somit vor Augen, endlich diesen unsäglich lange vor mir hergeschobenen Punkt abhaken zu können.
Nun ja.
Es fing schon gleich damit an, dass die freundliche Arzthelferin nach Entgegennahme meiner Krankenkassenkarte meinte, ich sei ja überhaupt nicht versichert.
Was nicht stimmt.
Auch hier wieder: jedes Jahr das gleiche Drama. Die Krankenkasse schickt Formulare zur Verlängerung der Familienversicherung. Ich schicke die zurück, dann bekomme ich entweder Post, dass ich noch dies und das und jenes vergessen habe. Irgendwann dann die Nachricht mit der Bestätigung der Verlängerung.
Tage Wochen später bekomme ich eine neue Krankenkassenkarte.
In der Zwischenzeit habe ich dummerweise zwölf Arzttermine und das geht dann zwar alles irgendwie, aber entweder muss ich weitere komplizierte Formulare ausfüllen und/oder nach Wochen, wenn die neue Karte endlich da ist, mit eben dieser noch einmal zu allen Ärztinnen gehen, um eben diese Karte noch einmal vorzuzeigen.
So auch jetzt.
Ein Punkt abgehakt, ein neuer dazu.
Plus drei weitere, denn die Ärztin so: Und dann empfehle ich Ihnen noch dies und das und jenes.

Schwupp, schon war ich an dem Punkt, dass diese ganze Sachen-Abarbeiterei ja wohl überhaupt keinen Sinn macht und wenn das alles keinen Sinn macht, dann kann ich auch einfach nur auf dem Sofa herumsitzen und schlechte Bücher lesen.
Dummerweise hatte ich aber gerade keine schlechten Bücher parat, ich las mich stattdessen durchs Internet, landete irgendwann bei diesem Artikel und somit bei dieser Doku und dann guckte ich die, den ersten und dann auch gleich noch den zweiten Teil und das machte meine Laune auch nicht besser, denn so niedlich das einerseits ist, diese Kinder und was sie sagen, so sehr will ich gleichzeitig den Kopf auf die Tischplatte sinken lassen und „das darf ja wohl nicht wahr sein“ sagen.

Aber natürlich ist das wahr, das wusste ich ja vorher schon.

Ich will jetzt aber gar nicht über „ich wusste gar nicht, dass Mädchen auch Pilotin werden können“ reden, denn was bei mir hängen blieb, war besonders die eine Szene, in der ein Hau-den-Lukas aufgebaut war und die Kinder sich (eigenständig) in eine Reihe einsortieren sollten, ganz vorn diejenigen, die vermutlich am stärksten sind, ganz hinten die schwächsten.
Hinten standen natürlich die Mädchen und ganz hinten standen zwei besonders verschüchterte Mädchen, die sich kaum trauten, den Hammer überhaupt hochzuheben (was jetzt vielleicht klein wenig übertrieben ist. Aber auch nur ein klein wenig).

Jedenfalls, als ich mich vor dem Einschlafen drücken wollte, kam mir diese Szene wieder in den Sinn und ich fragte mich, wo ich mich wohl eingeordnet hätte, damals, vor langer, langer Zeit, als ich mal Zweitklässlerin gewesen war.
Vermutlich im vorderen Drittel der Mädchen, das aber nur, weil die anderen mir gesagt hätten, das sei der Platz, wo ich hingehöre. Und weil ich niemals das Mädchen ganz hinten sein wollte, das ging nicht, dann wäre es ja für alle total offensichtlich gewesen und niemand durfte das wissen, es hätte alles noch viel schlimmer gemacht.

Aber eigentlich war ich genau dieses völlig verschüchterte Mädchen ganz hinten.

Und dann fielen mir all die Momente ein, in denen ich etwas nicht getan habe, weil ich es mir nicht zugetraut habe und weil ich nicht wollte, dass alle sehen, dass ich das nicht kann und eigentlich habe ich mir andauernd nichts zugetraut und selbst wenn, kaum ging der erste Versuch schief, habe ich sofort aufgegeben, weil hey, ich wusste doch gleich, ich kann das nicht. Und im Grunde ist das alles noch immer so, ich bin noch immer das verschüchterte Mädchen ganz hinten und der noch größere Mist ist, dass mich das nicht einmal wütend, sondern einfach nur traurig macht.

Dann noch Collien Ulmen-Fernandes dazu, sie machte alles noch schlimmer, mit ihren großen Augen, ihrem Leuchtgesicht, ihrer „ich höre dir zu, nur dir und du liebe Zeit, ist das alles so interessant, was du sagst“-Ausstrahlung.
(Das ist jetzt vielleicht missverständlich, es hat rein gar nichts mit ihr selbst zu tun, also abgesehen davon, dass ich ihr diese interessierte Haltung total abnehme. Und die ist ja was Gutes, diese Haltung, aber das ist ja das Schlimme, falls Sie verstehen, was ich meine)

Außerdem dachte ich an den anderen Mist, von wegen, das innere Kind an die Hand nehmen. Dieses innere Kind Gerede, das ging mir seit jeher fürchterlich auf die Nerven, aber nun ja, jetzt weiß ich vielleicht auch wieso.

Irgendwann fiel mir ein, dass ich kürzlich von Imagery Rescripting gelesen hatte und hey, das wäre doch die Gelegenheit, es mal auszuprobieren, das Mädchen da hinten an die Hand nehmen, ihr sagen, komm, du schaffst das und wenn nicht beim ersten, dann eben beim achtunddreißigsten Mal.

Und dann wurde alles gut und ich lebte glücklich bis an mein Lebensende.

Spuren von Schnee

Kürzlich Schnee von Maxence Fermine gelesen. Also na ja, angelesen. Dem Buch vorangestellt ist ein Zitat von Arthur Rimbaud: An nichts denken als an Weiß. Vielleicht habe ich das Buch überhaupt nur deshalb angefangen.
Jedenfalls, als ich es dann nicht mehr las, das Buch, wollte ich herausfinden, was es mit diesem Zitat auf sich hat. Das war ein bisschen schwierig, denn die Suche ergab nur den Verweis auf besagtes Buch von Fermine.
Irgendwann kam ich drauf, ins französische Original (von Fermine) hineinzulesen, dort das französische Originalzitat (rien que du blanc à songer) zu finden und nach diesem zu suchen.
Das war aus allerlei Gründen gar nicht so einfach, vor allem, weil ich natürlich nur französische Seiten gefunden habe, mein eigenes Französisch aber nicht allzu viel hergibt.
Irgendwann fand ich dann aber doch heraus, dass Rimbaud im November 1878 zu Fuß die Alpen überquert hat. Mit ziemlich viel Schnee drumherum. Wovon er in einem Brief nach Hause berichtete und aus ebendiesem Brief ist dieses Zitat.
Ich hatte ja eigentlich die Hoffnung, das Zitat-Drumherum gäbe noch mehr her, etwas derartiges, das ich mir ebenfalls sofort irgendwohin notieren will, so war das leider nicht, dafür habe ich noch ein bisschen über Rimbaud herumgelesen. Sehr viel mehr, als das er ein französischer Dichter ist, wusste ich bis dahin nämlich nicht über ihn.

Das schreibe ich, weil es so einen Spaß machte, diese Spurensuche. Und alles nur wegen dieses Buchs, das ich nie zu Ende lesen werde.
Eins der Dinge, die ich am Lesen mag. Man stößt völlig unverhofft auf etwas und ist plötzlich schlauer als zuvor. Oder hat ein neues Lieblingslied. Weiß, was man als nächstes lesen könnte. Oder wie das Wetter auf den Färöer-Inseln ist (das hätte man sich eventuell denken können).

Auch eins der Dinge, mit denen ich mich vor der Stapelverarbeitung drücken kann. Denn die Stapelverarbeitung hängt. Eventuell werde ich aber schon sehr bald wieder mit ihr anfangen, ich muss mir nämlich einen ausformulierten Lebenslauf ausdenken. Maximal 800 Zeichen. Von minimal steht da nichts. Eventuell bin ich also mit Name, wohnt in …, ist alt genug, schreibt schon fertig? Warum eigentlich nicht, das sind ja schon mindestens 41 Zeichen.
Den Lebenslauf brauche ich, weil ich nach Bayern eingeladen wurde. Nach Bayern! Hach. Und alles nur wegen der Stapelverarbeitung. Also einer Variation davon. Die würde nämlich für tendenziell preiswürdig gehalten, daher muss ich die dort vorlesen und zwar genau die. Obwohl ich doch mittlerweile noch siebzehntausend Sachen daran ändern würde. Darf ich aber nicht.
Vierzehn andere müssen auch etwas vorlesen, irgendeiner von uns gewinnt den Preis, dann fahre ich wieder nach Hause und werde drei Tage fort gewesen sein.
Damit kann ich schon Anfang Januar sechs Vorsätze abhaken: allein irgendwohin fahren, mit Übernachtung, mit anderen Schreibenden über Texte reden, in Bayern sein, neue Orte entdecken, neue Dinge tun (und vor lauter Angst zwölftausendmal aufs Klo rennen).
Ich fürchte, das werden alle Vorsätze sein, die ich nächstes Jahr abhake. Aber wer weiß. Außerdem habe ich ja gar keine Vorsätze, genausowenig wie To-Do-Listen.

Und apropos aufs Klo rennen: Der Zahn, von dem der Zahnarzt sagte, Nun, der eine Wurzelkanal ist FachausdruckDenIchVergessenHabe, eventuell geht das gut, vielleicht aber auch nicht – dreimal dürfen Sie raten. Von wegen bis nächstes Jahr.
Na ja, vielleicht geschehen am Wochenende noch wunderliche Dinge und alles wird gut.
Und vielleicht öffne ich auch gleich die Stapelverarbeitung.
Und vielleicht putzt irgendjemand das Bad.
Oder die Heizungsfrau ruft an.

Wahrscheinlicher ist, dass ich gleich Fotos auf buntes Papier klebe.

Noch wahrscheinlicher ist, dass ich irgendetwas lesen werde. Weil ich zurzeit aber ausschließlich auf leichte Unterhaltung Lust habe, diese allerdings am schwierigsten zu finden ist (zumindest wenn ich beim Lesen noch etwas anderes tun will, als die Augen zu verdrehen), habe ich beschlossen, die Frage „was lese ich als nächstes“ zu umgehen, indem ich einfach die vorhandenen Bücherstapel von oben nach unten abarbeite. Daher müsste ich als nächstes Von Beruf Schriftsteller von Haruki Murakami lesen. Das nur deshalb auf dem Stapel liegt, weil ich es mit einem anderen Murakami-Buch verwechselt habe (fragen Sie nicht).

Aber wer weiß, was sich darin nun wieder findet. Eventuell ist die nächste Spurensuche nur zwölf Seiten weit weg.