Vampire und so.

Manchmal ist das Leben wie eins dieser Bücher. Das Cover schreckt dich ein bisschen ab. Sieht verdächtig nach so etwas aus: Frau trifft auf Vampir/Dämon/Werwolf/Engel, sie verlieben sich, das darf aber – der Umstände wegen – nicht sein, also tun sie alles, um sich zu entlieben, was natürlich auch keinen Zweck hat.
So das Cover.

Aber na gut, du brauchst gerade ganz dringend ein Buch, eins, das dich aus dem Leben herausholt, in ein anderes Leben hineinzieht. Und es ist gerade kein anderes da, dieses hier scheint noch das beste von allen zu sein.

Du liest den Klappentext. Keinerlei Andeutungen von Vampiren/Dämonen/Werwölfen/Engeln. Hm. Vielleicht ist es ja doch das richtige Buch.
Du liest hinein. Liest nicht zu weit hinein, denn dann könnte sich deine Ahnung bestätigen. Und das willst du nicht.
Du nimmst das Buch mit nach Hause, mit der leisen Hoffnung, dich zu täuschen.

Tust du aber nicht. Erste Andeutungen tauchen auf, verstärken sich und – tada! – das klärende Gespräch: Du wirst das jetzt nicht glauben, aber ich bin ein … Alien.

Aliens.

Wie das Leben, eben. Man ahnt es. Will es aber nicht glauben. Und dann kommt es doch so. Und du willst das Buch zuschlagen, dir ein anderes suchen, eins, das so ist, wie du es gerne hättest.

G.

Neugierig blicken ihre Augen in den Raum, folgen dir und deinen Bewegungen. Himmelblau sind sie, die Augen und sie strahlen dich an, wann immer sich eure Blicke treffen. Schön, dass du da bist, sagen sie. Ich freu mich so. Manchmal winkt sie dir zu.

Es ist immer eine kleine Enttäuschung, wenn du in den Raum kommst und sie ist nicht da. Eine Belohnung, wenn sie aus ihrer Ecke heraus in den Raum hineinfunkelt.

„Hallo“, sagt sie mit dem Lachen in der Stimme, eine Stimme, die gebrochen wäre, wäre nicht das Lachen darin. Überhaupt ist alles an ihr lachendes, herzliches Glück. Es könnte anders sein. Sie könnte anders sein. Könnte einfach nur eine alte Frau in einem Rollstuhl sein.

Ihr Strahlen verschwindet, wenn du die falschen Fragen stellst. Fragen, deren Antworten sie nicht mehr kennt. Dann geht sie verloren und aus dem herzlichen Lächeln wird ein hilfloses.

Es ist alles gut, willst du ihr sagen und sie knuddeln. Stattdessen nimmst du ihre Hand, eine alte Hand. Nein, es ist nicht alles gut.

Oder doch? Das zahnlose, herzliche Lächeln kehrt zu ihr, zu dir, zurück.

Jetzt.

Wie leicht es doch immer wieder ist, das Jetzt zu vergessen.

Funktionieren. Sich einlullen lassen. Listen abhaken. Von hier nach dort eilen. Dieses und jenes besorgen.

Dann kommt F. zu Besuch. Nichts verschieben, sagt er. Später, wenn du Zeit hast, kannst du nicht mehr. Kannst nicht mehr fliegen, kannst noch nicht mal mehr Auto fahren. Vielleicht kannst du noch laufen. Aber vielleicht auch nicht.
Also tu’s jetzt. Nicht später.

Klingt gut, denke ich.

Und tue es doch nicht.

Alles wird gut, wenn man weiß, was man finden will.

Eine Jugendherberge. Du hast dir das obere Bett genommen, die Bettdecke hochgezogen und den Kopf, den schmerzenden, an die Wand gedreht.
Findest keinen Schlaf. Die immer gleichen Gedanken drehen sich im Kreis: Uhrzeigersinn, dann Richtungswechsel.
Bis der Feueralarm losgeht, mitten in der Nacht.
„Das ist jetzt ein Witz, oder?“, fragt die Frau unter dir ins dunkle Zimmer hinein.
Aber vielleicht ist es doch keiner. Hinaus aus den Laken, Zeug in den Rucksack stopfen, die Treppe hinunter, verschlafene Gesichter überall, kalte Nachtluft, Verwirrung, offene Fragen, noch mehr offene Fragen.
Irgendwann Entwarnung. Fehlalarm.
Du gibst dem Schlaf eine zweite Chance.

Am nächsten Morgen dröhnt dein Kopf noch immer. Du bist neidisch auf B., der vom Nachtaufsichts-Zivi und diversen Alkoholika erzählt.

„Legen Sie sich doch endlich mal fest!“, sagt U. und drängelt. Recht hat sie, aber Drängeln hilft nicht, nicht bei dir.
„Innenarchitekt“, sagst du schließlich, hauptsächlich, damit sie Ruhe gibt. Noch während du es sagst, trauerst du dem Schreiner hinterher; fragst dich, ob der Innenarchitekt wirklich die richtige Wahl war.
Entscheidungen. Trifft man sie nicht, entscheiden andere.

„Bierbrauer“, sagt B. ohne zu zögern. Er freundet sich nicht nur mit Zivis an, er hat auch kein Problem mit Entscheidungen. Du wünschst dir seine Eindeutigkeit für dich selbst.

U. wünscht nicht, sie fordert. „Eiern Sie nicht so herum! Entscheiden Sie endlich!“
Reden in Ausrufezeichen. Du hast nur Fragezeichen zu bieten. Gibst ihr irgendwas, damit sie endlich Ruhe gibt.
Entscheidung getroffen, Problem gelöst.

Aber das stimmt nicht.
Du fährst nach Hause und suchst noch immer nach deiner Wahrheit.

Illusionen.

„(…) weil Lesen so etwas ist wie eine lebenslange Kettenreaktion.“

Schreibt Kurt Kister unter dem Titel „Die Macht der Bücher“ in der Süddeutschen Zeitung vom Wochenende.

Stimmt. Das habe ich hier schon festgestellt.

Und es gilt ja nicht nur fürs Lesen.
Es zeigt sich auch beim Abarbeiten virtueller To-Do-Listen.
R. anrufen, steht da.
R. angerufen. Check.
Während des Anrufs nehme ich drei weitere To-Dos in die virtuelle Liste auf und erinnere mich an etwas anderes, das ich kürzlich gelesen habe:

„Dennoch bleibt die Illusion verankert, man könne irgendwann den ganzen Berg abgearbeitet haben, Inbox auf null, alles Geschirr gespült, alle Besorgungen erledigt.“

Ich erinnere mich an Punkt 217 der virtuellen To-Do-Liste: fragmente.me in die Blogroll aufnehmen.

Check.

Wenn alles so leicht wäre, dann.

Spring.

wunder

Eine Dachterrasse. Ein Mond. Das Schnattern der Gänse in der Nacht.
Der Kran, auf dem sich tagsüber Krähen in die Tiefe stürzen, liegt im Dunkeln.

Lachen. Stille.
Menschen, deren Zuhören nicht darin besteht, auf den Moment zu lauern, an dem sie selber reden können.

Vier Tage zuvor, eine Frau, in der S-Bahn: „Sie sehen gar nicht so behindert aus.“
Berlin, hast du gedacht und gelächelt.

Zu Hause sitzen die Krähen auf Nachbars Schornstein, kein Mond, keine Gänse, hinter den Herbstbäumen ein Kran. Immerhin.
Eine Geschichte im Gepäck und du fragst dich, ob sie eine Nummer zu groß ist.

„Entweder du läufst weiter so verschlafen herum. Oder du springst.“
Sagte das Kind zur Ratte. Und du dachtest: „Oh.“

Herbst!

Kürbisse nach Hause gefahren. Die erste Kürbissuppe des Jahres gegessen.
Ein Fazit zur diesjährigen Kartoffelernte gehört.
Walnüsse gesammelt. Gesammelte Haselnüsse geschenkt bekommen.
Des Nachbars Kastanien beäugt.
Über Äpfel und Birnen geredet.
Herbstapfelsaft gekauft.
An eine Winterjacke gedacht.
Die Fetthenne bestaunt.
Weintrauben geerntet. Weintrauben gegessen.
Die Hände in des Katers dichter werdendem Schneeanzug vergraben.
An den Pappeln vorbeigefahren. Bald sind sie gelb. Dann kahl.
Nach kopfüber in den Sonnenblumen hängenden Distelfinken Ausschau gehalten.
Die Bienen an den Herbstastern aufgeschreckt.
Dem Tag dabei zugesehen, wie er sich erst alrot guldin*, dann dunkel färbt.

Herbst.
Schön, dass du wieder da bist.

 

* aus dem Falkenlied des Kürenberges gemopst und vermutlich falsch geschrieben.

Heile Welt und so, Teil II.

Heute: Futter ist für alle da.

Der Kater hat aufgegeben. Jämmerlich miauend wollte er uns zunächst noch weismachen, er sei beklagenswert unterfüttert. Ein Blick in den Futternapf zeigt: der Kater lügt. Oder er hat ganz andere Sorgen und es bestehen Kommunikationsprobleme.

Nun liegt er wieder ruhend auf der Couch und sieht wahlweise weise oder erzürnt aus. Ich sitze ebenfalls auf der Couch und sehe wahlweise verschlafen oder zerknautscht aus.

Dann: Geräusche von draußen. Futternapfgeräusche.

Heute zu Besuch: eine Elster.

Ich staune. Den Kater sieht mich fragend an, dann sinkt sein Kopf wieder auf die Pfoten. Interessiert ihn nicht die Bohne, wer sein Futter wegmampft.

Der erste war Herbert. Der Igel.
Dann eine Wespe. Oder auch zwei.
Als nächstes die rotbraune Fremdkatze. Die nach zwei Besuchen schon herausgefunden hatte, wo das Katzenfutter herkommt und nicht davor zurückschreckte, ins Wohnzimmer vorzudringen. Während der Kater schlafend auf der Couch lag.
Gestern Nacht die weiße Monsterkatze. Huah. Schnell die Tür zumachen.

Heute also eine Elster.

Mal sehen, wer morgen zu Besuch kommt.

Fliegt ein Pferd den Himmel entlang …

… dann war Kerwe. Kerwe, Kirmes, Kirchweih und jetzt fliegen die Pferde. Langsam und gemächlich fliegen sie und von der Seite sehen sie fast ein bisschen aus wie ein Milan, aber ein Milan ist irgendwie doch – eleganter.

 

 

Schon ist es weg, das Pferd. Verschwunden im Herbsthimmel. Herbst! Nicht nur die Pferde fliegen. Auch die Blätter taumeln durch die Luft. Rote, gelbe, braune, noch ein Rest von Grün. Landen in Pfützen, in denen sich Wolken spiegeln.

Vor kurzem spiegelten sich noch Berge, doch der Urlaub ist vorbei, die Berge hinter dem Fenster wieder zu Hügeln geschrumpft. Rucksäcke warten darauf, ausgeräumt zu werden, Wäsche türmt sich auf, Schuhe fordern ihre ursprüngliche Farbe zurück. Und ich – ich will eigentlich schreiben. Von der Stille, von Deutschlands höchstem Berg, von Niederländern und von Bäumen, die gepflanzt, von Hütten, die bewohnt wurden. Vom Zähneputzen beim Mondenschein, von grünen Wiesen, anderen Welten, kalten Seen, wilden Bächen. Von einem Feuer, das auf sich warten lässt, vom Angst machen und Angst haben, von Rucksäcken, deren Inhalte ganze Zimmer füllen, von Kümmelbroten und Kaisersemmeln.

Aber die Worte verlieren sich, genau wie das Pferd da oben am Himmel.

Gute Reise.