Ich bin süchtig nach diesen Büchern, die einem suggerieren, es wäre möglich, man selbst zu sein, diejenige, die man gerne sein will, insgeheim. Man ist es nicht, schafft es nicht, aber dann passiert etwas, im Normalfall trifft man jemanden und dann schafft man es immer noch nicht, nicht auf Dauer jedenfalls, aber man merkt, er wäre möglich. Dann folgt der Teil, in dem man mehr oder weniger absurde Hindernisse aus dem Weg räumen muss, irgendwann gibt man auf, wird doch wieder zum gewohnten Selbst, diesem Selbst, das man eigentlich lieber nicht wäre, jetzt genügt es erst recht nicht mehr und dann passiert doch wieder etwas und Hurra!, das Leben kann beginnen, endlich.
Irgendwann habe ich mal einen Radiobeitrag über Sehnsucht gehört. Ich weiß nicht mehr, um was es genau ging, aber ich weiß noch, wie mich dieses Wort getroffen hat. Sehnsucht.
Die Leute in den Büchern wissen ja insgeheim immer, was sie zu tun haben. Das heißt, zuerst wissen sie es nicht, zuerst weiß es nur die Leserin und das eine oder andere Mal muss sie mit den Augen rollen, weil sich die Bücherleute so bekloppt anstellen. Aber so ist das im echten Leben ja auch, jemand erzählt von seinem Problem, man fragt sich, wo das Problem eigentlich ist, der andere müsste doch „einfach nur“ xyz tun, aber wenn man dann selbst mit seinem Problem dasteht und es kommt einer und sagt, man müsse doch einfach nur xyz tun, dann will man entweder die Augen verdrehen oder ihm kräftig ans Bein treten, in keinem Fall aber will und wird man xyz tun.
Irgendwann habe ich ein Buch gelesen, es hieß Ich warte darauf, dass etwas geschieht, einen ganzen Roman lang geschah nichts, gar nichts, zumindest erschien es mir damals so, ich weiß noch nicht einmal mehr, um was es eigentlich ging, aber der Titel, den vergesse ich nicht, immer wieder fällt er mir ein und jedes Mal fürchte ich, es wäre ein passender Titel für den Roman meines Lebens.
G. ist gestorben, aber statt an G. denke ich wieder nur an mich, wann habe ich G. das letzte Mal gesehen, ich hätte sie besuchen sollen, ich sollte so vieles, sollte mich an G. erinnern, erinnere mich auch, daran, wie sie einem die Tür geöffnet hat, mit irgendeinem Stofffetzen, den sie als Stirnband um die störrischen Haare gewickelt hatte, daran, dass ich an Bad-Hair-Days immer fürchte, mehr von ihr in mir zu haben, als ich mir wünschen würde, daran, wie sie die Plätzchendose hervorgeholt hat, daran, dass ich den Käsekuchen nach ihrem Rezept mache, daran, dass ich eine Kuchenform von ihr bekommen habe, die nutze ich immer noch, aber was hat jetzt das eine, was hat G. mit dem anderen zu tun, nichts, alles.
Dem Buch, das ich gerade gelesen habe, eins von denen, die einem suggerieren, man könnte diejenige sein, die man will, diesem Buch ist ein Zitat aus Wie es euch gefällt vorangestellt, Shakespeare, und die letzte Zeile, Sein Leben lang spielt einer manche Rollen, da dachte ich, nun ja, wenigstens dafür hat sich das Buch schon gelohnt, aber nicht nur dafür, es ist möglich, sagt das Buch und wie das so ist mit den Süchten, so richtig gut tun sie einem nicht, es ist möglich, denke ich abermals, diejenige zu sein, die ich will, scheiß doch auf alle Rollen, aber dann weiß ich wieder nicht, wie das gehen soll und wieder fällt mir der Titel ein, Ich warte darauf, dass etwas geschieht, nichts geschieht, man muss schon etwas tun, wenn ich doch nur wüsste, was.
Alles ist möglich, denke ich trotzdem jedes Mal aufs Neue, aber dann bleibt doch wieder alles gleich und es ist ja auch gut wie es ist, irgendwie, nur eben auch nicht. Ich versuche, darüber zu reden, so richtig, in echt, Wir sollten mal Squash spielen, bekomme ich als Antwort, Nein, denke ich, das sollten wir nicht, aber vielleicht liegt es auch daran, an meinem Nein, vielleicht sollten wir tatsächlich Squash spielen. Vielleicht aber auch nicht, vielleicht ist es mir nur nicht möglich, darüber zu reden, mich verständlich zu machen, wie soll das auch gehen, ich verstehe mich doch selbst nicht und nie ist genug Zeit, nie finde ich die richtigen Worte, immer greife ich zu den nächstbesten und dann rede ich darüber, dass neuerdings andauernd meine Socken kaputt gehen, ja wirklich, das tue ich und damit kann man nun wirklich keine Lösungen Wunder erwarten.
Das Buch ist zu Ende gelesen, sein Zauber noch da, schnell wird er sich verflüchtigen und dann werde ich wieder weiter funktionieren, ganz normal, das ist so schön einfach, vielleicht unternehme ich ein paar halbgare Versuche, dem alles ist möglich hinterherzuspüren, aber es wird nicht funktionieren, nie funktioniert es und ich weiß doch auch nicht, was fehlt, was sollte auch fehlen, alles ist gut, aber das ist es nicht, immer ist da dieses Dings im Hintergrund, dieses Dings, für das ich keine Worte finde, das Dings, das ich manchmal vergesse, so lange, bis mich das nächste Buch, das nächste Wort trifft.
Und jetzt weiß ich auch nicht.