Weitermachen.

Plötzlich eine Stunde Wartezeit, gänzlich unerwartet.
Aufregen könnte man sich.
Über die anderen. Warum haben die das nicht gleich gesagt? Dann hätte ich wenigstens ein Buch mitgenommen. Und vielleicht sogar gefrühstückt.
Über mich. Warum habe ich nicht nachgefragt? Und warum habe ich eigentlich kein Buch dabei?

Aber nein, wieder einmal verstreicht eine gute Gelegenheit sich aufzuregen, wieder einmal siegt das Beutelbärgemüt.

Eine Stunde verordnetes Nichtstun! Hurra! Nur das fehlende Frühstück – besorgen darf ich mir keins – trübt die Laune.
Das Nichtstun ist immerhin mit Zeitschriften angereichert (Schauplatz: Arztpraxis). Die vermeintlich interessanten habe ich zwar schon gelesen, aber vielleicht findet sich eine, von der ich noch gar nicht weiß, dass sie interessant ist.
Impulse, zum Beispiel. Für alle, die etwas unternehmen. Da fühlt man sich als Koala doch sofort angesprochen.
Aus „Hinfallen Aufstehen Weitermachen“ von Lazar Backovic:
„Wenn ein Unternehmer sein Unternehmen verliert, fühlt sich das für ihn oftmals so an, als ob er einen geliebten Menschen verloren hätte.“
Ach. Das Thema von gestern.
„Entscheidend fürs Weitermachen ist, die eigenen negativen Gefühle zu verarbeiten. […] Dafür müssen sich Unternehmer Zeit nehmen.“
Man ist sich einig.

Ich denke über Verluste nach, frage mich, wann ich den letzten überstanden habe, aber mir fällt keiner ein. Natürlich, es gibt welche, es gibt vor allem einen. Aber das ist lange her.

In absehbarer Zeit werde ich wieder etwas verlieren, den bisherigen Wohnort nämlich. Die Möglichkeit, mal eben mit dem Fahrrad überallhin zu fahren. Zur Ärztin, beispielsweise.
Ein selbstgewählter Verlust. Und ich gewinne anderes dazu.
Trotzdem. Bei jedem Fahrradausflug habe ich neuerdings die Melancholie im Gepäck. Wie verarbeite ich die nun? Ich lasse sie einfach mitfahren. Ist ja auch ganz schön und passt sogar zum Herbst.

Aber letztes Jahr, da war doch was. Letztes Jahr um dieses Zeit drohte der nächste Verlust, ein großer, schlimmer. Ein drohender Verlust fühlt sich auch nicht so viel besser an, als ein tatsächlich passierter.
Aber es ging ja noch mal gut aus. Erstaunlich gut. Überhaupt ist zur Zeit alles erstaunlich gut. Unheimlich, irgendwie.
Aber nun ja, es lässt sich eh nicht ändern. Oder aufhalten. Es ist, wie es ist, es kommt, wie es kommt.

Auch die Resilienz wurde im Artikel erwähnt. Die sei ebenfalls wichtig, um eine Krise gut zu überstehen.
Resilienz, das sei „die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen.“ Sagt duden.de.

Kein Problem für Koalas. Im Zweifelsfall wird man ja sowieso gerettet.

New York, Rio, Tokyo.

Der MMM vergnügt* sich gerade auf der anderen Seite des Ozeans und sendet ab und an Fotos von Freiheitsstatuen und so. Ich sehe die an und denke:
a) Hurra! Er wurde nicht überfallen/ins Gefängnis gesteckt/ist nicht verloren gegangen/etc.
b) Wie kann das nur sein? So weit weg und doch so nah? Und warum bin ich hier und nicht dort?

Ich erlebe ja nix mehr. P., der keinen Führerschein mehr hat, kommt mehr herum als ich. Die S., die ich nicht mehr so nennen soll, sitzt auch schon wieder im Reisebus, irgendwo zwischen München und der Heimat.
Ich sitze vor dem Rechner, draußen ist Herbst und Herbst ist prima, besonders, wenn es regnet, dann kann ich guten Gewissens drinnen bleiben, Waffeln backen, Schupfnudeln kochen und mich der Heimeligkeit ergeben.
So lange, bis der MMM das nächste Foto schickt.
Immerhin fahre ich nächstes Wochenende in die Schweiz, denke ich dann. Das ist doch auch was.

Überall Gratwanderungen. On/off. Daheim bleiben/rausgehen.
Wenn man nicht rausgeht, erlebt man dummerweise auch nix. Na ja, stimmt so nicht, manchmal klingelt einer, aber meistens will derjenige Äpfel verkaufen oder mich mit der Bibel erretten.
Wenn man rausgeht, ist die Wahrscheinlichkeit, etwas zu erleben, höher. Vor allem, wenn man dahin geht, wo man noch nie war.
Ich ging also heute ins DAI. Da wollte ich schon immer mal hin, ich weiß gar nicht warum, so spannend ist es dort jetzt auch wieder nicht. Kultur und so. Kommt halt immer darauf an, wer da ist.
Heute waren außer mir noch Jorge Bucay und ungefähr zweiundneunzig andere Menschen da, die hören wollten, was er so zu Verlusten zu sagen hat. Darüber hat er nämlich ein Buch geschrieben. Er hat noch viel mehr Bücher geschrieben, manche davon habe ich sogar schon gelesen, was auch der Grund war, warum ich ihn jetzt mal hören wollte. Und das Rausgehen natürlich, das war der eigentliche Grund. Was erleben.

Jorge Bucay erzählte was, zeigte lustige Filmchen, ließ vorlesen, erzählte wieder was.

Nun ja, was erleben. So spannend war das dann doch nicht. Unterhaltsam, das schon. Aber inhaltlich jetzt nicht so neu. Für mich.
Die Verluste, sagte er. Auf die käme es an. Glück und Erfolg, das ist was für Amateure, das kann ja jeder. Verlust, Kummer und Leid** – das ist dann für Fortgeschrittene beziehungsweise gerade das macht aus einem Anfänger einen Fortgeschrittenen***. „Heul doch nicht“ und „Sei nicht traurig“, das sei großer Blödsinn. Heul eben doch. Sei traurig.

Schön jedenfalls, unzählige Male gesagt zu bekommen, man sei „a piece of art“. Jeder sei „a piece of art“. Manche wüssten es halt noch nicht.

Jorge Bucay aus Buenos Aires. Wie sich das schon anhört, da will man doch sofort hinfahren und was erleben.

Nun ja, die Heimfahrt über die Neckarbrücke war jetzt auch nicht so schlecht. Sonnenuntergang auf der einen, von der Abendsonne erleuchtete Schlossruine auf der anderen Seite.

Zuhause neue Fotos vom MMM. Baden im Atlantik.
Ich bin dann mal unter der Dusche.

* Nun ja. Dass er dort arbeitet, schmälert das Vergnügen dann doch ziemlich. Aber noch ist ja Wochenende.
** Losses, sorrow and grief, sagte er. Hört sich doch gleich viel schöner und tragischer an.
*** Das ist jetzt natürlich alles extrem sinngemäß und verkürzt zusammengefasst. Noch dazu habe ich vielleicht alles mögliche falsch verstanden.

How wonderful life is*

Letzten Sonntag wollte der MMM in die Kirche. Der MMM in der Kirche, das hat meist etwas mit Musik zu tun, so auch in diesem Fall. Denn der MMM kennt den S. und ebenjener machte mitsamt seiner Frau am Tag des offenen Denkmals Musik in der Kirche; was ein derart geheimer Geheimtipp war, dass es noch nicht mal im offiziellen Programm zu finden ist. Da steht nur was von der Harfenistin.

Die Harfenistin sieht aus, wie man ich mir eine typische Harfenistin vorstelle. Liebreizend nämlich. (Der MMM meint, es sei gut, dass er das nicht gesagt hat.)

Die Harfenistin spielt zwei Lieder, dann macht sie Platz für S. und seine Frau. Die beiden haben drei Gitarren und zwei Flöten dabei und S. wird später behaupten, dass sie diese Instrumente, die nicht ihre eigentlichen Instrumente seien, gar nicht so gut beherrschen würden.

Es ist wohl wie mit den Büchern. Diejenigen Autoren, die einen mit aller Gewalt auf ihr Buch stoßen und der Meinung sind, wahlweise der nächste Bestsellerautor oder Literaturpreisträger zu sein – nun ja. Man muss ihre Bücher meist nicht gelesen habe. Diejenigen aber, von denen man eher zufällig erfährt, dass sie überhaupt ein Buch geschrieben haben – man sollte es besser lesen.

S. und seine Frau konnten jedenfalls problemlos ein Lied von Elton John spielen / singen, ohne dass ich aus der Kirche flüchten wollte. Genaugenommen kam mir sogar der Gedanke, die Musik von Elton John sei vielleicht doch viel besser, als ich bisher immer dachte.

How wonderful life is.

Ja. Manchmal ist es das.
Danke dafür.

 

* aus Your song, Elton John

WmdedgT*

Puh. Der Tag ist ja eigentlich noch längst nicht vorbei. Aber irgendwie doch.

Heute habe ich nämlich einen Punkt meiner gar nicht existierenden To-Do-Liste abgehakt, der sich seit ungefähr fünf Jahren dort tummelt: Erste-Hilfe-Kenntnisse (beziehungsweise eher Unkenntnisse) auffrischen.

Vor vielen, vielen Jahren habe ich den Führerschein gemacht und damals natürlich auch einen Erste-Hilfe-Kurs besucht. Aber na ja – lange her. Und gebraucht habe ich dieses Wissen auch nie. Was gut ist und gern so bleiben kann.

Wobei ich ja jetzt wieder weiß wissen sollte, wie es geht. Theoretisch.

Praktisch? Wir haben viele praktische Übungen gemacht, aber ich fürchte, wenn es darauf ankommt, werde ich mich trotzdem an nichts erinnern.
Egal. Hauptsache helfen. So ungefähr das Fazit des Kurses.

Noch dazu war meine Aufnahmekapazität schon zwei Stunden vor Kursende ziemlich am Limit, also bitte vor allem keine Hitzschläge oder Krampfanfälle. Oder gebrochene Arme. Einen solchen sollten wir schienen, mit zwei Dreieckstüchern, aber äh, welche Ecke ist die kurze, welche kommt zu welcher Schulter, und was kommt als nächstes – ich habe nichts mehr verstanden. Netterweise hat mir eine aufnahmefähigere Teilnehmerin den vermeintlich gebrochenen Arm eingedreieckt, das war dann doch ganz nachvollziehbar, jedenfalls mehr als die Anweisungen des „Beipackzettels“.

Heute ist also außer leichter Unterhaltung und Kater kraulen nichts mehr drin. Vielleicht schaffe ich es noch, mir etwas zu essen zu machen. Vielleicht auch nicht.
Sehr wahrscheinlich bringe ich mich eher in eine stabile Couchlage, Beine hoch und her mit dem Buch von gestern.

 

* Was machst du eigentlich den ganzen Tag?, fragt Frau Brüllen

Zieh Abenteuer an*

Vielleicht mag ich den Wald und die Berge deshalb so gern, weil sie kein Mitleid mit mir haben.

Die Menschen sind ja bekanntlich nett zu mir. Und das ist gut so. Nur manchmal – manchmal denke ich, sie machen es mir vielleicht ein klein wenig zu leicht. Ich schaue ein bisschen verängstigt, jammere ein bisschen, schiebe noch ein „Oh, oh, ob ich das wohl hinbekomme?“ hinterher und schwupp, schon hat mir jemand die Arbeit abgenommen.

Prima, nicht wahr? So mancher wünscht sich das.

Ich wünsche mir manchmal eine Herausforderung.

Allein, das hier hinzuschreiben, könnte schon eine sein, jedenfalls verspüre ich dabei schon einen Anflug von Panik. Unken rufen und so, Sie wissen ja.

Jedenfalls, der Wald und die Berge. Die kennen da nix.
Wenn du auf den Pass willst, beziehungsweise in das Tal, das hinter dem Pass liegt. Und du hast dich entschlossen und bist losgegangen. Und es fängt an zu schneien, wird kalt und kälter, der Wind fegt dich fast vom Weg herunter, die Finger sind kurz vorm Einfrieren, die Laune längst schon unter dem Nullpunkt – hilft alles nichts, du musst da durch.
Der Wind legt sich nicht, nur weil du es jetzt gern so hättest. Der Regen hört nicht auf, nur weil du ihn anschreist. Der Weg ist immer noch zur Hälfte weggebrochen, obwohl du ihn ganz dringend gehen willst.

Der Wald und die Berge – sie sind nicht immer sonderlich hilfsbereit. Gleichzeitig wollen sie nichts Böses. Stellen keine Forderungen, kein „du müsstest“, kein „du solltest“, nichts. Du hast es dir selbst ausgesucht und jetzt musst du durch.

Und das geht. Du schaffst das. Hältst mehr aus, als du oder sonst wer gedacht hat.

 

* Titel sponsored by Engelhorn, beziehungsweise von einer der Werbepostkarten abgeschrieben, die Engelhorn uns irgendwann mal zugeschickt hat.

Meine schöne Welt.

Erwähnte ich schon mal, des öfteren erstaunt darüber zu sein, wie sehr sich meine Welt von der anderer Leute unterscheidet?
Für manch anderen scheint die Welt von Idioten bevölkert zu sein. Keine Frage, Idioten gibt es mit Sicherheit, mir scheinen sie jedoch aus dem Weg zu gehen.

Was sich gerade eben wieder gezeigt hat.

Schauplatz: Der kleine, örtliche Einkaufsladen*.
Beteiligte: Kassiererin, zwei ältere Damen, meinereiner.

Die zwei älteren Damen hatten vor mir bezahlt und waren gerade dabei, ihre Einkäufe zu verstauen, als ich auf dem Boden einen Zehn-Euro-Schein entdeckte, ihn aufhob und in die Runde fragte, ob ihn wohl eine der beiden verloren hatte.
Daraufhin große Aufregung, fast schon ein Tumult.
Und zwar nicht, weil sich die Damen in keifende Furien verwandelten, die laut „Meiner! Der gehört mir! Her damit!“ kreischten.
Es war vielmehr so, dass keine der Damen den Schein haben wollte, die Ausrufe also eher in Richtung „Nehmen Sie ihn!“ „Nein, Sie!“ gingen.
Man rekonstruierte den Tathergang (beziehungsweise versuchte es), die Kassiererin sprach einen Richterspruch und die Dame, die schließlich unter Prostest den Schein einsteckte, gab der Kassiererin wiederholt folgende Anweisung: „Gell Frau S., wenn jemand kommt und den Schein haben will, sagen Sie mir Bescheid.“

Auf dem Heimweg wurde ich von Entgegenkommenden vermehrt mit einem Lächeln bedacht, vermutlich, weil mein eigenes Grinsen so breit war.

 

* Ja, das ist so einer, in dem man sich beim Namen nennt und an der Kasse nach dem letzten Urlaub, dem letzten Leiden oder den Enkeln gefragt wird. Und umgekehrt.
Vermutung Vorurteil: Im Riesen-Discounter auf der grünen Wiese wäre das so wohl nicht passiert.
Sagte ich schon mal, dass ich ein großer Fan von kleinen, örtlichen Einkaufsläden bin?

Das Glück der Inkonsistenz.

Gestern am Badesee habe ich die Zeitschrift GEO Wissen aufgesammelt*, Thema: Entscheidung und Intuition – Was will ich?

Darin mehr oder weniger interessante Artikel, unter anderem auch ein Dossier, in dem man anhand diverser Tests herausfinden kann, was für ein Entscheider man ist, mehr Kopf, mehr Bauch, Maximierer, Satisfizierer, Bedaurer, und auch einer zum Thema: „Neigen Sie zu Fehlentscheidungen?“

Solchen Tests kann ich schwer widerstehen, außerdem hatte ich sowieso nichts besseres zu tun, daher suchte und fand ich einen Kugelschreiber, der sich beim besagten Fehlentscheidungstest als unnötig herausstellte. Gleich die erste Frage führte nämlich zu einem „Hä?“ und war dementsprechend nicht zu beantworten. Nicht aus mangelndem Verständnis meinerseits, nein, aus Mangel an passenden Antwortmöglichkeiten. Normalerweise gibt es in solchen Fällen wenigstens die Option „Na ja, passt alles nicht so ganz, aber am ehesten noch das hier.“
Hier nicht.

Nun ja, dachte ich. Ignoriere ich die Frage eben fürs erste und wende mich der nächsten zu.
Dort aber das gleiche Problem (Hä?). Ich fand das jetzt doch etwas seltsam und befragte den MMM. Wer weiß, vielleicht verstehe ich doch irgendetwas völlig falsch.

Folgendes las ich dem MMM vor:

Sie mögen Tennis, aber noch lieber gehen Sie kegeln. Gerade erst sind Sie gleichzeitig einem Tennisklub und einem Kegelklub beigetreten. Die Mitgliedschaft in Ihrem Tennisklub kostet 200 Euro im Jahr, die in Ihrem Kegelklub 50 Euro im Jahr. In der ersten Woche Ihrer Mitgliedschaft ziehen Sie sich eine Ellbogenverletzung zu. Sowohl Tennisspielen als auch Kegeln tut zu weh. Ihr Arzt sagt Ihnen, dass der Schmerz etwa ein Jahr anhalten wird.
Würden Sie in den nächsten Monaten eher Tennis spielen (a) oder kegeln (b)?

Darunter sechs Antwortmöglichkeiten, ganz links „höchstwahrscheinlich a“, ganz rechts „höchstwahrscheinlich b“, dazwischen vier Abstufungen.

Und siehe da, der MMM und ich scheinen eine ähnliche Neigung zu Fehlentscheidungen zu haben. Er nämlich so: Hä? Weder das eine noch das andere? Ich habe schließlich Schmerzen?

Genau.

Die weiteren Fragen ähnlich unbeantwortbar, beziehungsweise mit der Folgefrage „Die Frage stellt sich (so) doch gar nicht?“ verbunden.

Zum Beispiel: Im Restaurant einen Nachtisch bestellen, nach drei Bissen feststellen, man ist pappsatt. Weiteressen oder nicht?
Das kommt natürlich drauf an. Ob der MMM dabei ist und sich als Mitesser anbietet. Ob das ein superleckerer Nachtisch ist oder eher nicht so. Außerdem stelle ich meist schon in der Mitte des Hauptgangs fest, pappsatt zu sein und bestelle erst gar keinen Nachtisch.

Oder: Man sitzt zu zweit im Kino, der Film ist sterbenslangweilig (finden beide) – bleibt man trotzdem (man hat schließlich Geld dafür bezahlt) oder geht man?
Man geht natürlich. Gibt es wirklich Leute, die sich wegen schon bezahlter zwölf Euro (oder wie viel auch immer) einen sterbenslangweiligen Film antun?
Ich habe zwar auch schon einige Male sterbenslangweilige Filme bis zum Ende gesehen, aber das nur in der Hoffnung, dass es eventuell doch noch besser wird**.

Oder auch: Du streichst deine Schlafzimmerwand mit einer aufwendigen Schwammtechnik. Nach zwei von vier Wänden stellst du fest: Herrje, sieht absolut schlimm aus, unifarben wäre schöner.
Gibt es tatsächlich Leute, die die restlichen zwei Wände auch noch aufwendig UND unschön bemalen? Um die nächsten sieben Jahre regelmäßig beim Betreten des Schlafzimmers so etwas zu denken wie: „Argh. Hätte ich doch nur …“

Der Effekt der versunkenen Kosten oder auch Sunk Cost Fallacy – so nennt sich das Phänomen, das diesem Test zugrunde liegt. Ralf Dobelli hat in seiner FAZ-Kolumne Klarer Denken auch schon darüber geschrieben, ebenfalls mit einem Kinobeispiel (ja, es gibt diese Leute!).
Seiner Meinung nach bleibt man wegen dem Anschein nach Konsistenz im Kino. Weil: Konsistenz = Glaubwürdigkeit, und glaubwürdig will man sein.

Daran sollte ich künftig denken, wenn ich mich wegen mangelnder Disziplin/Durchhaltevermögen mal wieder selbst zur Schnecke mache. Eine Stärke ist das. Sehr schön. Und passt auch prima zu einem anderen Test im Dossier, nämlich: „Bedauern Sie ihre Entscheidungen oft?“
Nö.

 

* Öffentliche Bücherregale! Ganz großartige Sache.
** Die Hoffnung trügt. Im Normalfall.

On. Off.

Manchmal funktioniere ich einfach nicht mehr. Nichts geht mehr.

Das geht doch nicht, denke ich und zwinge mich nach draußen, manchmal hilft es, ab unter die Leute, raus in den Wald, irgendwas tun und plötzlich geht doch wieder was. Aber manchmal eben auch nicht, manchmal ist die Welt zu viel, zu laut, zu fordernd. Nichts geht mehr, ich drehe um, zurück nach Hause, dahin, wo niemand ist, bitte nicht ansprechen, die Welt ist mir zu groß.

Der Kater kommt – sucht sich regelmäßig diese Tage aus, um zuzubeißen, zart, aber bestimmt; ich weiß nicht, warum er das tut, wer weiß schon, warum der Kater irgendwas tut, es ist jedenfalls seltsam tröstlich.

Später kommt der MMM, es gibt ungefähr zwölf Themen, über die wir reden könnten/sollten/müssten, Kleinkram fast alles, aber nichts geht mehr, reden schon gar nicht. Nein, auch nicht aufmuntern, einfach nur aushalten, wird schon wieder, irgendwann.

Ein Glück, nicht hinaus zu müssen an diesen Tagen, gleichzeitig die Frage, ob es diese Tage überhaupt geben würde, würde ich hinausmüssen. Wenn ich hinaus muss, funktioniere ich, irgendwie. Wenn ich nicht hinaus muss, gar nichts muss, nur das Übliche, das jetzt eben liegenbleibt, dann: nichts geht mehr. Bitte nicht an die Tür klopfen, bitte nicht anrufen, bloß nicht ansprechen, heute geschlossen.

Einfach so passiert das. Grundlos. Gerade noch alles gut, bestens sogar und dann legt sich der Schalter um, nichts geht mehr, gar nichts.
Bis es dann eben doch wieder geht.

Datschis in rosa und hellblau.

Erneut bringt mich der Bayrische Rundfunk zum Kochen. So ganz praktisch. Dieses Mal hörte ich die Sendung Notizbuch – Nah dran zum Thema: Wandel der Kochkultur – Schneller, bequemer, einfacher.
Fazit: Man kann heutzutage unbesorgt in Produktionsstätten von Kartoffelknödeln investieren, die Nachfrage nach Fertigprodukten wächst und wächst und wächst.

Kann doch nicht angehen, denke ich.
Vermutlich habe ich immer noch die Landfrauen im Sinn. Die machen ihre Knödel selbst.

Apropos Knödel, denke ich als nächstes. (Man kommt ja von einem zum anderen, gerade beim Thema Ernährung/Lebensmittel). Es ist noch ganz viel trockenes Brot im Schrank, da wären Knödel gar nicht schlecht (Lebensmittel wegwerfen? Das geht ja gar nicht).
Da ich keine rechte Lust auf Knödel habe, entscheide ich mich für Blumenkohldatschis*, die ebenfalls gut dafür geeignet sind, Schränke von Vorräten an trockenem Brot zu befreien.

Hoch motiviert will ich mich ans Kochen machen, stelle dann aber fest, dass es mir an wichtigen Zutaten fehlt, insbesondere am Blumenkohl.

Ich fuhr also erst einmal Einkaufen. Beim Einkaufen neige ich dazu, Zeit am Zeitschriftenregal zu vertrödeln, dieses Mal mit der Nido und Peter Praschl**. Ich las und hörte zum ersten Mal von Gender-Reveal-Partys. Angehende Eltern lassen sich von ihrer Ärztin einen verschlossenen Umschlag geben, darin steht das Geschlecht des Kindes. Den Umschlag geben sie an den Tortenbäcker ihres Vertrauen weiter, von diesem bekommen sie eine Torte, es gibt eine Party, irgendwann wird die Torte angeschnitten und – Überraschung – das Innere der Torte ist entweder blau oder rosa.

Sachen gibt’s.

Hauptsache gesund, würde ein mir gut bekannter Landmann sagen.

 

(…)

 

Nein, tut mir leid, es kommt keine Pointe mehr. Ich habe gerade anderes zu tun, Blumenkohldatschis anfertigen, beispielsweise.

 

* Datschi = Frikadelle
** Sehr gern würde ich noch den Titel des Artikels nennen, allerdings ist er meinem Gedächtnis entfallen und online nicht aufzufinden.

Labskaus und die GEZ.

Doch, das hat etwas miteinander zu tun. Das ist nämlich so:
Kürzlich war ich allein zu Haus und zwar im Haus der Schwiegermama. Eben jene war ungefähr 2.000 Kilometer weit weg, auch der MMM war weg, wenn auch nicht ganz so weit, jedenfalls war ich allein und hatte nichts besseres zu tun, als fernzusehen.

Es kommt ja nix.
Sagt man gern mal.

Stimmt ja auch meistens. In dem Fall war mir aber sowieso nach Trivialität und unterster Schublade, dass auf Vox gerade Shopping Queen lief, kam mir da ganz recht. Man lernt ja durchaus dazu, selbst in diesem Fall. Seither weiß ich, was eine Clutch ist.

Außerdem könnte das mit der Trivialität und der untersten Schublade auch ein Vorurteil sein. Vielleicht.

Nun ja. Die Sendung dauerte gefühlte drei Stunden. Ein Drittel davon waren Werbepausen, ein weiteres Drittel die Wiederholung dessen, was man vor der Werbepause schon mal gesehen hatte. Dann bleibt noch das Eigentliche, in diesem Fall geht jemand Kleider und Accessoires einkaufen, während andere die Wohnung der Einkaufenden durchstöbern. So richtig. Inklusive Schränke und Schubladen öffnen und währenddessen mehr oder weniger hämische Kommentare zum Durchstöberten abgeben. Wenn man Pech hat, bringt eine der Durchstöbernden noch ihren Hund mit, der dann munter sabbernd durch Wohnung und Bett hüpft.

Irgendwann geht es ans Eingemachte bzw. Eingekaufte. Die Einkaufende führt vor (wird vorgeführt?), holt sich weitere Kommentare ab (nun meistens nicht mehr ganz so hämisch, da von Angesicht zu Angesicht), das Eingekaufte wird von den Durchstöberinnen mit Punkten beurteilt.

Danach brauchte ich erst einmal eine Fernsehpause.

Später regnete es immer noch, die mitgebrachten Bücher waren nicht ganz so mitreißend wie erhofft, der MMM war immer noch nicht da, ich „musste“ noch einmal fernsehen.

Dieses Mal traf ich im Bayrischen Fernsehen auf die Landfrauenküche. Gleiches Prinzip. Eigentlich.
Sieben Landfrauen besuchen sich gegenseitig, eine kocht, die anderen bekommen die Gegend gezeigt und später das Essen vorgesetzt, das die Eine gekocht hat. Für jeden Gang und fürs Ambiente verteilen die Bekochten Punkte; am Ende, in der achten Folge, gehen alle Sieben zusammen auf die Reise, eine Gesamtsiegerin wird verkündet und die Siegerinnen für Vorspeise, Hauptspeise und Dessert.
Die Sendung dauert eine Dreiviertelstunde, natürlich ohne Werbung, angenehmerweise auch ohne hämische Kommentare. Durchaus realistisch, dass die Frauen auch nach der Sendung noch befreundet bleiben (statt darauf zu hoffen, sich niemals wiederzusehen).
Die Bewertung bleibt geheim, am Ende erfährt man nur, wer jeweils gewonnen hat. Die Beteiligten beteuern des öfteren, sowieso allesamt Gewinnerinnen zu sein, allein durchs dabei sein.
Man glaubt es ihnen.

Und ich bekam beim Zusehen große Lust, selbst Landfrau zu werden. Ich weiß es natürlich besser, in Wirklichkeit könnte und wollte ich keine Landfrau sein, natürlich ist so eine Sendung auch immer ein bisschen weichgezeichnet, mit gelebten Träumen des Miteinanders, des Zusammenhelfens, im Einklang mit der Natur sein und all jenen Inhalten, die dafür sorgen, dass sich Zeitschriften wie Landlust so gut verkaufen.
Dass ein Miteinander auch nicht immer schön ist, dass die Natur auch mal Probleme bereitet, gerade, wenn man auf sie angewiesen ist, das wird das zwar auch erwähnt, aber mehr so am Rande.

Um aber mal die Kurve zu bekommen: Dafür zahle ich gern GEZ. Obwohl wir gar keinen „echten“ Fernseher besitzen. Den gibt es nur bei der Schwiegermama.
Eben jene ist mittlerweile längst wieder zu Hause, ich bin es auch, der MMM allerdings genauso wenig wie der Kater.
Ein Sonntag zum Fernsehen, dachte ich mir und suchte nach einer bisher ungesehenen Folge der Landfrauenküche.

Wenn ich mich selbst versorgen muss, ist es ja meistens so, dass der MMM hinterher, wenn er zurückkommt und hört, wie ich mich versorgt habe (oder eben auch nicht), kopfschüttelnd Pläne für eine gesunde Gemüseküche macht, die er prompt in die Tat umsetzt.
Das muss er diese Mal nicht tun. Den Kopf schütteln meine ich, von der gesunden Gemüseküche lässt er sich vermutlich nicht abbringen.
Denn ich habe ja den Landfrauen zugesehen. Und die sind total begeistert von dem, was sie tun und vor allem von dem, was sie kochen. Sehr ansteckend, diese Begeisterung, gerade dann, wenn man noch nicht gefrühstückt hat.

Und damit bin ich am Ende beziehungsweise am Anfang, nämlich beim Labskaus. Von der Begeisterung der Landfrauen angesteckt, wollte ich auch etwas kochen, es waren noch ein paar hutzelige rote Rüben da, zwei Kartoffeln, Zwiebeln, ein Ei – die Entscheidung fiel leicht, sie fiel auf Labskaus*.

Während ich in der Küche werkelte, erzählte die portraitierte Landfrau aus ihrem Alltag, fing an zu kochen, ich ebenso und irgendwann saß ich unterm Terrassendach, auf das der Regen tropfte; vor mir mein Labskaus mit der letzten Gurke, einem Spiegelei und angebratenen Zwiebeln; vor mir auch der Laptop auf dem die letzten Minuten der Landfrauenküche liefen.

Sehr zufrieden saß ich da, sah in den Garten und war herzlich froh, an einem Punkt angekommen zu sein, an dem ich nicht mehr denke, ich sollte ebenfalls einen Gemüsegarten haben, ein paar Hühner, Gänse und Ziegen besitzen, in einem Chor singen, oder wenigstens ein Instrument spielen, Heuherzen binden und Marmelade einkochen, räuchern, käsen und metzgern lernen.
So schade ich es manchmal auch finde, mein Weg ist das nicht.

Aber an verregneten Sonntagen von den richtigen Wegen anderer Frauen zum Träumen eingeladen zu werden, das ist auch eine feine Sache.

 

* Labskaus kenne ich erst, seit ich dieses Buch besitze: Deutschland Vegetarisch von Stevan Paul und Katharina Seiser. Ein sehr empfehlenswertes Buch, kennengelernt habe ich es bei Herrn Buddenbohm, mein bisheriges Lieblingsrezept: Labskaus.