Empört Euch.

Tja. Das mit der Empörung müssen andere übernehmen, ich bin ziemlich schlecht darin. Das fing schon mit meinem ersten Auto“unfall“ an*. Da habe ich jemandem den Spiegel abgefahren, derjenige konnte das ziemlich gut mit der Empörung, ich hab die ganze Aufregung nicht verstanden und war schwer damit beschäftigt, einen Lachanfall zurückzuhalten.
Später kam ich dann noch kurz ins Schlingern, als es nämlich darum ging, dem Besitzer des Autos, also des Autos, dessen Fahrerin ich gewesen war, von besagtem Unfall zu berichten und davon, dass, nun ja, der Spiegel am eigenen Auto auch nicht mehr so ganz gerade hing.
Das Schlingern hätte ich mir sparen können, der Autobesitzer (der mittlerweile ein anderes, ziemlich zerdellertes Auto sein Eigen nennt, aber das ist wiederum eine andere Geschichte) lebt da ganz nach der Maxime: „Hauptsache, es ist niemandem etwas passiert.“

Heute morgen jedenfalls stand ich an einem öffentlichen Bücherregal, beziehungsweise ich gesellte mich zu den beiden Männern, die schon vor mir an diesem Regal standen, wunderte mich kurz darüber, dass einer von ihnen mit fünf Büchern davonging (wer findet schon an einem öffentlich Bücherregal gleich fünf potentiell interessante Bücher? Ich war kurz neidisch), dann wunderte ich mich umso mehr, als der verbliebene Mann sich – genau – empörte, nämlich darüber, dass der andere diese fünf Bücher einem Antiquariat anbieten würde, das mache der nämlich immer so, der würde sämtliche öffentliche Regale abklappern, das mitnehmen, was potentiell von Interesse ist und dieses dann Antiquariaten anbieten.

Ja und? Mal wieder verstand ich die Aufregung nicht.
Asoziales Verhalten sei das, wurde mir gesagt.

Der verbliebene Mann ging davon, als er merkte, dass aus der gemeinsamen Empörung nichts werden würde.

Und ich wunderte mich immer noch. Diese Regale sind üblicherweise gut gefüllt, ist doch prima, wenn einer Platz macht. Aber darum geht es wohl nicht, es geht vermutlich darum, dass man seine Bücher hineinstellt, um sie anderen zur Verfügung zu stellen. Nur sehe ich dann immer noch kein Problem. Vermutlich geht es also darum, dass einer mit dem Buch, das ich weggebe, Geld macht.
Zum einen bezweifle ich, dass man damit tatsächlich Geld machen kann, oder zumindest nicht mehr als beispielsweise ein Flaschenpfandsammler. Aber selbst dann. Na und?
Wenn ich was ins Regal stelle, bin ich hauptsächlich froh, es loszuwerden. Was danach mit dem Buch passiert, ist mir doch egal. Ob einer Geld damit verdient, ebenso. Hätte ich ja theoretisch auch machen können, hätte ich das gewollt.
Vielleicht ist meine mangelnde Empörung auch darin begründet, dass ich nicht davon ausgehe, in einem öffentlichen Bücherregal antiquarische Schätze zu finden (mal ganz abgesehen davon, dass ich sie nicht erkennen würde).

Vielleicht sollte ich Dr. Dr. Erlinger fragen. Oder das Buch** lesen, dessen Titel ich für diesen Beitrag geklaut übernommen habe.
Vielleicht solle ich es mir auch weiterhin in meiner sehr entspannten Welt gemütlich machen.

* Das fing natürlich schon viel früher an, aber egal.
** Empört Euch!, Stéphane Hessel

WmdedgT – November 2015.

Was machst du eigentlich den ganzen Tag, fragt Frau Brüllen heute wieder.

Das Übliche. Aufstehen und so. Aber heute bricht der MMM statt zur Arbeit zum Lieblingsbäcker auf und – wieder zu Hause – bereitet Lieblingsbrötchen für den späteren Verzehr vor.
Die Lieblingsbrötchen im Gepäck sammeln wir R. am Bahnhof ein und machen uns auf den Weg zum Fertighaus Center. Nicht unser erster Besuch dort, schließlich wird sich unser Leben ändern, unter anderem werden wir Hausbesitzer.
Der heutige Besuch ist allerdings der erste konkrete, mit Terminen bei drei Wir-bauen-ihr-Haus-Menschen. Allesamt Männer, diese Häuserbauer, beziehungsweise Häuserbauverkäufer.

Und drei Mal passiert so ziemlich das gleiche: Der Häuserbauverkäufer stellt Fragen, wir geben Antworten. Unsere Antworten sind eigentlich immer die gleichen.

In die andere Richtung läuft das ein bisschen anders: Wir stellen Fragen, der Häuserbauverkäufer antwortet, doch die Antworten gehen zum Teil entschieden auseinander.
Häuserbauverkäufer Zwei beispielsweise bevorzugt Heizvariante A. Häuserbauverkäufer Drei dagegen sagt uns, Heizvariante A sei großer Mist (nein, das hat er so deutlich natürlich nicht gesagt), er empfehle uns Heizvariante B.

Alle haben sie uns eine Bemusterung angedroht. Logisch. Wer will schon Teppichboden im Wohnzimmer (Kaum einer – Häuserbauverkäufer Zwei fragt sich, wie eigentlich die Teppichbodenindustrie überlebt). Weil man also keinen Teppich will und auch noch über siebentausend andere Dinge entscheiden muss, geht man zur Bemusterung, schaut sich zweitausendfünfhundert alternative Bodenbeläge an und entscheidet sich für einen davon. Oder zwei. Oder drei. Je nachdem.
Bestimmt gibt es Leute, die sich auf so etwas freuen. Wir gehören nicht dazu.

Überhaupt wandle ich in dieser Hausbausache jetzt schon auf einem schmalen Grat und drohe, in die Welt des „mir doch egal, Hauptsache, die Sache ist erledigt“ abzustürzen (ja ja, ich weiß, so ein Haus baut man gewöhnlich nur ein Mal und so).

Häuserbauverkäufer Eins hat sich jedenfalls mit einer recht astronomischen Gesamtsumme fast schon selbst ausgeschlossen. Außerdem hat er uns nichts zu trinken angeboten und der MMM meinte, einen Hauch von „Was soll das jetzt mit dieser Frage“ bemerkt zu haben.
Häuserbauverkäufer Zwei dagegen war rundum nett, auch alles, was er sagte, war nett und irgendwie war dieses völlige Fehlen von kritischen Punkte fast schon ein wenig verdächtig. Außerdem war Häuserbauverkäufer Zwei derjenige mit der suspekten Heizvariante (das Internet gibt in dieser Hinsicht Häuserbauverkäufer Drei recht).
Häuserbauverkäufer Drei hat unendlich viel, also zu viel, erzählt, aber das, was er erzählte, hörte sich recht sinnvoll an, noch dazu hat er die am wenigsten astronomische Gesamtsumme genannt.
Wobei sich das, also die Summe, natürlich noch ändern kann und es noch dazu ziemlich undurchschaubar, beziehungsweise schwer vergleichbar ist, was man für diese Summe nun eigentlich bekommt.

Nun ja.
Zwischen den Terminen haben wir die Lieblingsbrötchen verzehrt und gedacht, dass man bei dem Wetter eigentlich auch besseres vorhaben könnte.

Irgendwann sind wir dann mit überschrittener Aufnahmekapazität nach Hause gefahren, es gab noch ein kleines Durcheinander in Sachen „Was und wo essen wir heute Abend?“, der Kater gab ziemlich klar zu verstehen, was und wie viel er gern zu essen hätte, aber der arme Kater, er kriegt ja nie was.
Wir dagegen schon.
Essen, ausruhen, ab und zu wirft einer irgendwas in den Raum, so in Richtung diffusionsoffen, Dreifachverglasung oder ähnliches, dann bringt man mich zur Mitgliederversammlung, in der ich zuerst von einer gut gefüllten Kasse berichte und schließlich mein Amt loswerde (freiwillig, immerhin).

Und somit endet der Tag, denn: nichts geht mehr.

Zeug.

zeug

So langsam wird es ernst, die Sache mit dem neuen Leben. Man sieht es. An mir und daran, dass sich die Wohnung füllt. Dabei braucht man doch kaum was. Sagt man.
Das Schlafzimmer jedenfalls hat ein Kinderbett bekommen. Das Arbeitszimmer eine Wickelkommode. In der Kommode ist mittlerweile auch schon was drin. Im Flur steht ein Stubenwagen (mit Zeug drin). Und im Wohnzimmer ein Kinderwagen (mit Zeug drin). Und Pampers-Kartons, die sind quasi überall verteilt und in denen ist natürlich auch wieder Zeug drin, allerdings keine Pampers. Pampers werden heutzutage nicht mehr im Karton verkauft, was eher schlecht ist, scheinen die Kartons an sich doch den praktischen Nutzen zu haben, Zeug darin zu lagern.

Die R.s freuen sich jetzt jedenfalls darüber, dass ihre Wohnung erstaunlich leer ist.

Dabei braucht man doch angeblich kaum was für so ein neues Leben. Na ja, dieses und jenes und das hier auch noch und – tada!- die Wohnung ist voll. Wo ich doch leere Wohnungen so mag. Nicht, dass ich das vorher hinbekommen hätte, aber jetzt scheint es ein Ding der Unmöglichkeit geworden zu sein.

Alte Handtücher zum Beispiel. Die kann man immer gebrauchen, heißt es.
Tja.
Wir besitzen genau zwei alte Handtücher, genaugenommen sind es des Katers Handtücher. Die fallen also schon mal aus.
Das älteste Handtuch ist noch dazu mein Lieblingshandtuch. Meins! Das gebe ich nicht her, schon gar nicht, um es zu zerschneiden und unappetitliche Dinge damit zu tun.
Und wir hätten sogar noch weniger Handtücher, hätten wir nicht die Hälfte davon geschenkt bekommen. Was sich im Grunde durch unseren gesamten Hausstand hindurchzieht. Wer braucht schon ein Olivenschälchen mit entsprechendem Löffel? Na gut, es sieht hübsch aus und ein Mal in drei Jahren wird es sogar benutzt. Ansonsten wäre es längst schon weg. Weggeben fällt mir ja zum Glück recht leicht, das kommt einem entgegen, wenn der Gedanke an eine leere Wohnung zu einem gewissen Glanz in den Augen führt.
Apropos weggeben: Gibt es zufällig jemand unter den Lesern, der einen Scanner gebrauchen könnte?

M., die unsere letzte größere Anschaffung – ein an die Wand geschraubtes Brett mit eher praktischem als verschönerndem Nutzen – mit einem „Oh! Ein neues Möbelstück!“ kommentierte, kann beim nächsten Besuch jedenfalls mit diversen Neuheiten rechnen.

Allerdings werden die dann wohl weniger von Interesse sein, als die/der neue Mitbewohner/in.

Terpene – oder: Mein Freund, der Baum.

Ab heute habe ich eine wissenschaftliche Rechtfertigung dafür, Bäume zu umarmen. Die Terpene, nämlich. Die stecken unter anderem in der Borke und da man beim Bäume umarmen der Borke ziemlich nahekommt, nähert man sich somit auch den Terpenen und dann wird man nie mehr krank und alles ist gut.

Na ja, so ungefähr.

Und eigentlich ist es auch egal. Wer braucht schon wissenschaftliche Beweise, ich nicht, ich mag sie ja eh schon, die Bäume. Und den Wald auch (ja, ich erwähnte es schon das eine oder andere Mal).

Ich fasse sie auch gern an. Die Bäume, also die Borke. Am liebsten mag ich Eichenborken. Die sind so schön knorkig.
Rauschen können aber die Pappeln am besten. Auf der üblichen Radrunde komme ich an einem von Pappeln umsäumten Reitplatz vorbei. Der MMM, so er denn dabei ist, verschafft sich dann weitere 200 Meter Vorsprung, während ich mich vom Pappelrauschen verzaubern (und zur gesteigerten Langsamkeit verleiten) lasse.
Dann ist da noch die Birke in Nachbarinsgarten. Die rauscht auch sehr schön (die Birke, nicht die Nachbarin), besonders in lauen Sommernächten, wenn man gerade nach Sternschnuppen Ausschau hält.
Neben der Birke steht ein Gingko und ein Gingko im Herbst, das ist eine wunderbare Sache. Alle Welt redet über die Farben der Ahornbäume im Herbst, Indian Summer und so, kein Mensch redet über das leuchtende Gelb der Gingkos. Zumindest ich habe noch niemanden darüber reden hören. Dabei sind Gingkos im Herbst ein gelber Wahnsinn.
Ahornbäume finde ich dagegen im Frühjahr am schönsten, wenn sie mit leuchtend hellgrünen Kugeln behängt sind. Im Frühjahr redet wiederum alle Welt über blühende Obstbäume. Dabei sind Obstbäume im Herbst viel schöner als im Frühjahr. Die rostroten Birnbäume vor allem. Oder auch die Apfelbäume, vor allem, wenn rotbackige Äpfel an ihnen hängen.
Und der Winter. Da ist dann nichts mehr mit Grün, aber das macht nichts, wenn man Glück hat, bekommt man Weiß. Nebel, der an Zweigen gefriert. Und Schneehäubchen.
Und die Orangenbäume natürlich. Die gibt es auch im Sommer, aber wer will schon im Sommer an Orangenbäumen riechen, ich nicht. Orangenbäume gehören in den Advent. Und nein, ich meine natürlich nicht die Bäume, an denen sich irgendwann Orangen pflücken lassen, ich meine die Nadelbäume, die nach Orange riechen, wenn man ihre Nadeln zwischen den Fingern verreibt.

Die Terpene jedenfalls, von ihnen hat mir heute Morgen Clemens G. Arvay erzählt*. Dabei hat er auch die Studie erwähnt, die zeigt, dass ein Baum vor dem Fenster eines Krankenzimmers zur schnelleren Genesung der Patienten in diesem Zimmer beiträgt (im Gegensatz zu Patienten, die auf Häuserwände oder ähnliches blicken).

Später habe ich den Liegestuhl in die letzte sonnige Gartenecke getragen und zur Birke in Nachbarinsgarten hinaufgeschaut. Ich bin zwar nicht krank, aber kann ja nichts schaden.

 

* in diesem Interview.

Oktobergrau.

Die Wolken haben sich in den Bergen Hügeln verfangen, die Sonne versteckt sich, von den Sträuchern tropft es – dass es noch nicht November ist, merkt man eigentlich auch nur daran, dass immer noch Blätter von den Bäumen fallen.
Die Abende werden dunkler, die Tage kühler, die Straßen nasser; meine Straßenlaterne leuchtet ins Dunkel; eine Kerze, ich könnte eine Kerze anzünden, denke ich und tue es auch.

Wie kann man diesen nassen, grauen Nebelherbst nicht mögen.

Vielleicht mag ich ihn, weil mit ihm die Stille Einzug hält. Weil ich dann regelmäßig an Hesse denke, sein Nebel-Gedicht. „Jeder ist allein.“ Und ist es nicht.

Auf der Buchmesse bin ich auf das Buch 183 Tage von Ianina Ilitcheva gestossen. Ianina Ilitcheva hat zuerst ein Experiment, aus dem Experiment schließlich ein Buch gemacht. 183 Tage soziales Exil.
Es ist ein schönes Buch geworden.

Und wie immer, wenn ich höre, wie sich jemand in irgendeine Form der Einsamkeit zurückzieht, will ich das sofort auch tun.

Allein sein, die Stille hören.

In Ianina Ilitchevas Buch findet sich die „Monatliche Nachricht an die Außenwelt.“ Sie findet sich auch auf einem Blog, dort allerdings ohne diesen Titel, einfach nur „tag x von 183.“
In „Tag 183 von 183 (+?)“ schreibt sie: „das Alleinsein. es brachte die Erkenntnis, dass man nie völlig allein sein kann und es in Wahrheit immerzu ist.“
Wie wahr.

Heute morgen im Radio dann eine andere Frau, ein anderes Experiment, ein anderes Buch. Pauline de Bok, Blankow oder Das Verlangen nach Heimat. Blankow, das ist ein Ort und dorthin hat sich Pauline de Bok zurückgezogen, allein, na ja, mit einem Hund. Mehrere Male war sie für längere Zeit dort und im Interview las sie aus ihrem Buch, sie las folgendes: „Den Moment des Eintretens in diese Welt empfinde ich wie einen seltsamen Verstoß. Ich störe das planlose Dasein der Dinge. Ich geben ihnen ihren Sinn. Ich fülle den Raum mit Absichten.*“

Das planlose Dasein der Dinge. Vielleicht ist es genau das, was ich mir von der Stille wünsche, was mich zu ihr hinzieht. Die Absichten loslassen.

Vielleicht mag ich auch deswegen den Nebelherbst so gern – auch er zieht sich zurück. Einheitsgrau, alles verschwimmt, „kein Baum sieht den anderen“, keine Ablenkungen mehr.
Eine Ahnung von Alleinsein in einer lauten Welt.

 

* Wohlgemerkt nach Gehör aufgeschrieben.

Spritzpistolen*. Oder: Die Menschen und ich.

Manchmal, ziemlich oft sogar, sehe ich mir selbst beim Leben zu und frage mich, was ich da eigentlich tue.
Das bin doch gar nicht ich!, denke ich dann. Genaugenommen habe ich – unter Menschen – sowieso höchst selten das Gefühl, wirklich ich zu sein. Genaugenommen muss ich noch nicht mal unter Menschen sein, es reicht schon der Gedanke, jemand könne lesen, was ich schreibe.

Ich wäre gern rücksichtsloser. Im besten Sinn. Würde mich gern öfter „zu Hause“ fühlen. Keine Rolle spielen, keine Maske aufsetzen, nicht so tun, als ob.
Ja, das wäre ich gern, aber es ist so schwer. Zu sein, wie ich vermeintlich sein sollte, wie es erwartet wird, ist so viel leichter, einfacher.
Also passe ich mich den vermeintlichen Erwartungen an. Es passiert einfach, ich kann es nicht aufhalten, merke es manchmal noch nicht mal, erst hinterher, wenn ich erschöpft bin, meine Ruhe haben, mich selbst wiederfinden will, weil ich mich irgendwo da draußen verloren habe.

Als ich in den Kindergarten kam, waren die anderen Kinder drei Jahre alt. Alle**. Nur ich nicht, ich war erst zwei. Warum bin ich die einzige, warum sind alle drei Jahre, nur ich nicht, habe ich mich gefragt.

Und so ist das heute noch manchmal mit mir und den Menschen. Warum haben alle eine Spritzpistole, nur ich nicht?
Manchmal ist es mir egal. Wer braucht schon eine Spritzpistole? Manchmal tue ich so, als wäre es mir egal. Manchmal frage ich, ob ich auch eine bekomme. Manchmal werde ich gefragt, ob ich auch eine haben will.

Meistens ist nichts davon richtig. Es endet zum Beispiel damit, dass ich eine Spritzpistole in der Hand halte und mich frage, was zur Hölle ich damit anfangen soll. Warum die anderen so eine Freude daran haben. Und ich nicht.
Die anderen sind immer noch die anderen, sind immer noch ein Jahr älter, ich bin immer noch ich.
Bin bedürftig. Danach, jemand möge nach diesem Ich Ausschau halten, es mir zeigen, erklären.
Ich mag das nicht, diese Bedürftigkeit. Sie macht keinen guten Menschen aus mir, macht mich missgünstig und gierig. Es reicht ja nie. Es reicht nicht, wenn einer kommt und fragt, ob ich mitspielen will. Es reicht nicht, wenn einer kommt und mir (s)eine Spritzpistole gibt. Es reicht nicht, ebenfalls eine Spritzpistole zu haben.
Es reicht noch nicht mal, denjenigen zu treffen, der ebenfalls keine Spritzpistole hat, auch gar keine haben will.
Nie reicht es. Mehr, mehr, mehr.

Sieh mich an, singt Such a Surge.
Sieh mich an und fülle mein nie endendes Verlangen, gesehen zu werden. Wie ich bin. Wer ich bin. Sieh nicht nur das, was ich vorgebe, zu sein. Sag mir, wer ich bin, sag mir, dass ich wichtig bin, immer wieder. Mach, dass ich es glauben kann.
Ich weiß es, aber Wissen nützt manchmal nichts. Unter anderem deshalb tue ich manchmal so, als hätte ich Spaß an Spritzpistolen, obwohl es alles nur noch schlimmer macht.

Guck mal, wie ich weg bin, sagte mal eine Dreijährige zu mir und irgendwie fasst das alles zusammen. Oder auch nicht.
Eine andere Dreijährige motzte mich mit „Alleine!“ an, als ich ihr bei irgendetwas helfen wollte. Passt im Grunde genausogut.

 

* Die Spritzpistole hat debruma ins Spiel gebracht. Anderswo, in einem anderen Spiel, das nichts (und alles) mit diesem hier zu tun hat. Die Spritzpistole könnte auch ein Feuerwehrauto sein, eine Schaufel, ein Luftballon. Irgendwas. Oder nichts.
** Nein, nicht gefühlt. So war das damals. Mit drei Jahren kam man in den Kindergarten, vorher nicht. Ausnahmen bestätigen die Regel.

WmdedgT?

Heute ist der fünfte Oktober und am Fünften jedes Monats fragt Frau Brüllen: Was machst du eigentlich den ganzen Tag?
Kurz: WmdedgT.

Der Tag hat ein Gerüst aus Hefeteig. Ich hatte nämlich folgendes beschlossen: Dampfnudeln.
Dampfnudeln brauchen Hefeteig und Hefeteig braucht Zeit.
Hefeteig braucht auch Mehl und das war gerade aus.

Der Tag begann also mit der Unterstützung des örtlichen Einzelhandels.

Aber nein, das stimmt nicht, der Tag begann früher – mit der Aufnahme der schmählich vernachlässigten Morgenroutine: Fenster aufreißen, durchlüften, grobes Aufräumen, Fenster wieder zu, Yogamatte ausrollen, wach werden.
Dann all diese Dinge, die man tut und wieder vergisst, so dass man sich abends (oder beim WmdedgT) fragt, was man eigentlich alles getan hat (oder auch nicht). Mails lesen, Mails beantworten, Briefe öffnen, Wäsche in die Waschmaschine stecken, Briefe eintüten, Müll hinaustragen, über Texte nachdenken, Kommentare zu Texten schreiben, …

Dann aber doch die große Stunde des örtlichen Einzelhandels. Bei der Gelegenheit lassen sich auch gleich die Briefe zur Post tragen. Und vergeblich in der Buchhandlung vorbeischauen.

Wieder zu Hause, mitsamt dem Mehl – Hefeteig Akt 1: Hefeteig ansetzen und dort positionieren, wo die Herbstsonne durchs Fenster scheint.

Weiter mit dem Alltags-Kleinkram. Wäsche aufhängen, Termine planen, von der Ärztin beziehungsweise der medizinischen Fachangestellten angerufen werden, einen Schreck bekommen, dann aber nur gefragt werden, ob man denn auch eine halbe Stunde früher kommen könnte.
Den lächelnden Bäcker vor dem Fenster vorbeilaufen sehen, mit Kinderwagen. Aha! Ist er also Papa geworden.
Der lächelnde Bäcker vor dem Fenster führt dazu, dass mir die Bäckerei wieder einfällt, in der ich kürzlich frühstücken war. Dort hatten sie die großartige Idee, dem Frühstücksbrotkorb Brottüten beizulegen. Man schafft ja doch nie alles. Also ich schaffe doch nie alles. Und dann werfen die das weg. Doof.
In diesem Fall packt man es einfach ein und nimmt es mit. Gar nicht doof. Ich schreibe die nächste Mail, eben an diese Bäckerei.
Der Hefeteig wölbt sich währenddessen dem Tuch entgegen, das ich über die Schüssel gelegt hatte. Hui. Die Herbstsonne hat magische Kräfte. In dem Fall könnte man doch eigentlich etwas Teig abzweigen und einen Apfelkuchen backen. Denke ich. Und ich weiß auch schon, welche Art Apfelkuchen das werden könnte. Dazu braucht es allerdings Quark und Quark haben wir nicht.

Also: Unterstützen des örtlichen Einzelhandels, Teil 2 – Quark einkaufen gehen. Und noch einmal bei der Buchhandlung vorbei. Dies Mal erfolgreich, die gesuchte Person ist anwesend und ich kann einen weiteren Punkt der nicht existierenden To-Do-Liste abhaken. Nebenbei finde ich sogar noch ein vermeintlich, hoffentlich lesenswertes Buch (Unterstützen des örtlichen Einzelhandels, Teil 3).

Buch ist eine gute Idee, denke ich, als ich nach Hause komme.
Aber zuerst Hefeteig, zweiter Akt: Kuchenboden abzweigen, ausrollen und in der Backform verteilen. Dampfnudeln für Portion Nummer Eins abzweigen und zu Dampfnudeln formen.
Dann: Buch, Couch, Internet.

Und die nächste Portion Kleinkram. Beim Kauf eines Tickets für die Buchmesse scheitern. Ein Wochenende im Oktober planen (ebenfalls nicht sonderlich erfolgreich), Kontoauszüge sortieren (erfolgreich).
Da muss doch noch mehr gewesen sein? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

Hefeteig, dritter Akt: Quark rühren, Äpfel schälen, Streusel formen. Äpfel auf Hefeteig, Quark auf Äpfel, Streusel auf Quark, ab in den Ofen. Dampfnudelpfanne ansetzen, Dampfnudeln einsetzen, Kürbissuppe warm machen.
Den Kater begrüßen. Buch, Couch, Internet.
Essen! Überraschenderweise gibt es Dampfnudeln mit Kürbissuppe.

Auch der Rest des Tages verschwimmt im Kleinkramnebel, irgendwann folgt des Hefeteigs letzter Akt: Dampfnudeln für Portion Nummer Zwei formen, auf den MMM warten. Zwischendurch dem Kater dreiundneunzig Mal die Tür öffnen. Und das Buch zu Ende lesen. Vielleicht.

Alle Jahre wieder.

Nein, es noch nicht Weihnachten. Auch wenn man durchaus den Eindruck gewinnen könnte, zumindest, wenn man sich in Supermärkten herumtreibt.

Alle Jahre wieder lege ich mir einen neuen Kalender zu, ganz altmodisch, mit Papier und so. In den Kalender trage ich jedes Jahr aufs Neue alles mögliche an Terminen ein, zum Beispiel Geburtstage.

Normalerweise kaufe ich den Kalender irgendwann Anfang Dezember und irgendwann Ende Dezember schaffe ich es, die Termine einzutragen.
Dieses Jahr geschehen seltsame Dinge – es ist der 4. Oktober und ich habe einen Kalender mitsamt Terminen darin.

Alle Jahre wieder stelle ich beim Termine eintragen fest, dass mein Geburtstag mal wieder auf einen Wochentag fällt.
B., dessen Geburtstag regelmäßig am Wochenende stattfindet, hat nächstes Jahr allerdings montags Geburtstag. Kann doch nicht sein, denke ich und tatsächlich, das kann nicht sein, ist auch nicht so, der Montag ist nämlich ein Feiertag.

War ja klar.

What a wonderful world.

Das Schwimmbad macht zu. Genauer: Der Schwimmbad Musik-Club.
Nicht, dass ich in letzter Zeit dort gewesen wäre. Nicht, dass ich vorhätte, in nächster Zeit dorthin zu gehen.
Aber wenn man es zusammenrechnet, habe ich bestimmt ein Jahr meines Lebens im Schwimmbad-Club verbracht. Ein schönes Jahr.

Mit einfach nur irgendwo herumsitzen, Leute gucken.
Mit tanzen bis zur Erschöpfung.
Mit im Kino sitzen, ausruhen.
Mit Konzerten.
Mit Musikentdeckungen.
Mit Musikgewohnheiten.
Mit hinterher nach Frankreich fahren, frühstücken.
Mit Wehmut, immer wenn ich diesen lila Farbton irgendwo sehe. Oder einen Skelettfisch.
Mit dem Warten, bis die endlose Anfangsphase von Irgendwie Irgendwo Irgendwann vorbei ist.
Mit verklebten Böden und verrauchten Haaren.
Mit „Hast du eine Zigarette für mich?“ und „Mir ist so wunderbar schwindelig.“
Mit endlich den richtigen Ort gefunden haben.
Mit „Ihren Führerschein bitte.“
Mit „Hoffentlich wird es nicht glatt.“
Mit Heirate-Mich-Kleidern und dem Warten auf Rammstein.
Mit schnellem Aufspringen und Weitertanzen! bei Sunday Bloody Sunday.
Mit dem freudigen Hoffen darauf, jemand ganz bestimmtes möge auch wieder da sein.
Mit No Diggity und den Amerikanern.
Mit dem echten, wunderbaren Scheißegal-Gefühl.
Mit so viel Lachen.
Mit nur einem wirklich schlimmen Abend.
Mit noch mehr tanzen.
Mit T.s Latzhose.
Mit „Bist du jetzt neidisch?“
Mit den Mannheimern.
Mit all den anderen, die wir niemals wiedergesehen haben.
Mit Herrn N., der mit seiner Brille grinsend wie ein Schuljunge am Eingang sitzt und K. immer wieder aufs Neue nach ihrem Ausweis fragt, obwohl er doch längst weiß, dass sie mittlerweile über zwanzig ist.
Mit dem Lieblingsaufpasser, dessen Job es ist, böse dreinzuschauen.
Mit Schlange stehen und an der Schlange vorbeigelassen werden.
Mit Hungergefühlen, nachts um Zwei.
Mit Nach-Hause-Kommen, wenn die Vögel gerade wieder wach werden.
Mit dem Umrechnen vom verdientem Geld in Schwimmbad-Club-Eintritte.
Mit viel Freude an Winterzeit-Umstellungs-Samstagen: Hurra! Eine Stunde länger!
Mit Wehmut, sobald Don’t Speak irgendwo im Radio läuft.
Mit dem langen Warten auf das nächste Wochenende, das am Montag in der ersten Stunde (Bio) seinen Anfang nimmt.
Mit noch viel mehr.

Der Schwimmbad-Club macht zu. Ich höre das Lied, das einen um vier Uhr morgens hinauskomplimentiert hat und bin jemand geworden, der in Erinnerungen schwelgt.

Adieu, lieber Schwimmbad-Club. Es war verdammt schön mit dir.

Herumschildkröteln*

Mit dem Zug unterwegs sein, das ist fast so gut wie ein Waldspaziergang. In mancher Hinsicht vielleicht sogar noch besser, zumindest, wenn man dahin fährt, wo man bisher noch nie war.

T. findet es furchtbar, dieses „im Unbekannten ankommen, sich zurechtfinden müssen, wo fährt jetzt die Straßenbahn nach X, etc.“
T. und ich sind in mancherlei Hinsicht dann doch ziemlich verschieden.

Zugfahren jedenfalls. Eine wunderbare Sache. Ich rede natürlich vom Fernverkehr, vom entspannten Fernverkehr. Viel Platz, überhaupt ein Sitzplatz, keine „lustige“ Reisegruppe um einen herum, auch keine Schulklasse auf dem Weg ins Landheim, schon gar keine Menschen mit Bierdosen auf dem Weg zu einem Fußballspiel. Stattdessen harmlose, sich mehr oder weniger ruhig verhaltende Menschen, die man unauffällig betrachten und deren Gespräche man ebenso unauffällig belauschen kann. Was man da so alles hört.

Aber meistens höre ich gar nicht, sondern schaue aus dem Fenster. Selbst wenn man da draußen gar nicht so viel sieht. Felder. Bäume. Wald. Häuser. Felder. Nur Tunnel sind doof. Aber die versierte Reisende hat natürlich ein Buch dabei.

Aus dem Fenster schauen ist jedenfalls eine ganz großartige Sache. Verordnetes Nichtstun, wieder einmal. Ich bin da in guter Gesellschaft, Gerhard Polt macht das auch gern, also im Zug aus dem Fenster schauen. Und Gerhard Polt ist sowieso eins meiner größten Vorbilder** in Sachen Nichtstun.

Felder. Bäume. Wald. Häuser. Felder.

Oder Regen. Regen ist auch ganz großartig, wenn man gerade im Zug sitzt. Dem Regen da draußen zusehen, vor allem aber den Tropfen, die sich auf der Fensterscheibe ihre Wege bahnen.

Mir ist plötzlich so meditativ zumute.

Vermutlich trägt auch viel zur Entspannung bei, dass ich hauptsächlich privat mit dem Zug unterwegs bin. Es völlig egal ist, ob ich um 15:05 Uhr ankomme oder doch erst eine Stunde später. Dass ich mich auf das Ziel freue. Vermutlich trägt zur Entspannung auch bei, dass ich es höchst selten mit Verspätungen zu tun bekomme. Beziehungsweise wenn doch, sitze ich meist schon im Zug und im Zug sitzend Verspätung zu haben ist weit weniger schlimm, als draußen auf dem Bahnsteig stehend auf einen verspäteten Zug zu warten.
Aber nun ja, so lange das Buch gut ist, lässt sich auch das aushalten.

Zugfahren in die Schweiz ist natürlich noch viel großartiger, denn auf einmal sind da draußen grüne Wiesen, aber sowas von grün. Eine Kuh dazwischen, zwei, drei, vier. Und Berge. Noch mehr Berge. Ein See.
Dort, wo ich aussteige, ein noch viel größerer See. Noch höhere Berge. Mit Schnee!
Mehr braucht es doch gar nicht. Aber das sagte ich schon.

 


* Dieses schöne Wort ist leider nicht von mir, sondern von Gerhard Polt. Nachzulesen hier.
** Das größte natürlich der Kater.