Brenne auf, mein Licht.

In der Nacht gibt es nur die Straßenlaterne und mich. Abgesehen vom Kater, der miauend an der Tür steht und der Meinung ist, es wäre an der Zeit für die nächste Portion Futter (der Kater ist quasi durchgehend der Meinung, es wäre Zeit für die nächste Portion Futter).
Tagsüber sehe ich die Laterne gar nicht, obwohl sie natürlich da ist. Doch tagsüber ist so viel Ablenkendes um sie herum: Bäume, Wolken, Krähen, Elstern, Nachbarn, Kindergartenkinder, Kirchtürme, …
Nachts verschwindet die Welt, nur die Laterne bleibt übrig.

Die verschwundene Welt ist vernünftig und längst zu Bett gegangen. Ich sollte das auch tun. Um zehn Uhr beginnt meine nächste Schicht. Zehn Uhr, das ist natürlich nicht sonderlich früh, doch wenn man bis zwei Uhr wachbleibt und vor zehn Uhr noch unzähliges Grillgut einkaufen und eine Liste für die Kollegin schreiben will; wenn man darüber hinaus überhaupt kein Morgenmensch ist, vor allem dann nicht, wenn man erst nach Zwölf ins Bett gegangen ist – dann, ja dann sollte man vernünftig sein, dem Kater seine Portion Futter in den Napf füllen, der Straßenlaterne Gute Nacht sagen und: schlafen.

Mit der Vernunft ist das so eine Sache.

Vom Verschwinden.

Heute habe ich es mal wieder getan. Ich habe dir etwas erzählt. Von mir. Wie ich ins Schlingern gekommen und fast vom Fahrrad gefallen bin.
Ah ja, hast du gesagt und dass die Gerste bald reif sei.

[Keine Sau interessiert sich für das, was ich erzähle. Keine Sau interessiert sich dafür, wer ich eigentlich bin.]*

Früher hat mich das zum Verschwinden gebracht.
Heute verschwinde ich nicht mehr so schnell. Was bleibt, auch heute noch, ist leise Wehmut nach dem, was nie sein wird.

Ich habe andere Dinge von dir bekommen, bekomme sie jetzt noch. Die Freude in deiner Stimme, wenn ich da bin. Das Wissen, dass ich niemand sein muss, um jemand zu sein. Das Vertrauen, dass alles gut wird. Gut ist. Loslassen – eins deiner Spezialgebiete. Du lebst mir vor, dass man einfach nur fragen muss, um das zu bekommen, was man braucht.
Und da ist noch so viel mehr.

Nur das mit der Aufmerksamkeit. Das ist nicht so dein Ding.

 

* Glaubenssätze. Vermutlich veraltet.

Finisher!

Endlich weiß ich, was mal aus mir werden könnte, wenn ich groß bin: Ich gründe zusammen mit der Schwester, dem Schwager, dem Neffen und der Schwiegermama ein Anfeuerungsunternehmen. Die notwendige Ausrüstung dazu haben wir schon: eine Ratsche, eine Vuvuzela, eine Handklapper, so komische Luftballons, die man zusammenschlagen kann, unsere Arme, Hände, unsere Stimmen.
Gestern haben wir das Ganze getestet, es gab ausreichend Gelegenheit: 12.859 Teilnehmer, 42,195 Kilometer. Hauptziel unserer Anfeuerungen war natürlich der MMM – nicht zu fassen, wie schnell der laufen kann. Und wie lange. Bestimmt nur auch wegen uns.
Wir können das nämlich richtig gut. Also anfeuern. Das war ganz eindeutig an den gequälten Lächeln in schmerzverzerrten, schweißüberströmten Gesichtern zu erkennen.

edit:
Um nicht falsch verstanden zu werden: „Und wie lange“ sollte so viel heißen wie „Meine Güte, ich hätte das keine drei Kilometer lang durchgehalten“. Und nicht: „Jesses. Fünf Stunden und er ist immer noch nicht am Ziel.“

Alas, I cannot swim.

Das Schöne am Schreiben – für mich jedenfalls – ist, dass es von einem zum anderen führt.
Heute vormittag wollte ich wissen, was der Unterschied zwischen einer Büchse und einer Flinte ist (Volker Wollny kann das erklären).
Verflixt kompliziert, diese Waffensache. Langwaffen, kalte Waffen, Blankwaffen, Würgebohrung, gestochene Waffe und was ist jetzt eigentlich ein Repetierer?
Jede Antwort wirft weitere Fragen auf.
(auch diese: Welche Leute wohl anhand dieser Schlagwörter hierher finden?)

Jedenfalls stelle ich (immer wieder) fest: Ich habe ja keine Ahnung.
Von so manchem. Schon gar nicht von Waffen – bisher habe ich noch nicht mal auf Plastikrosen geschossen. Das einzige, was ich vorweisen kann, ist eine Infoveranstaltung für angehende Jäger.
(Die war lohnend. So inspirativ gesehen.)

Was hat das nun mit nicht schwimmen können zu tun?
Äh.
Fast nichts. Außer, dass eben eins zum anderen führt. Aufräumen zum Beispiel dazu, in der alten Geschichte zu blättern; der ersten, die mal ein Roman werden sollte. Es wurde keiner, es blieb Stückwerk, lose Schnipsel, manche davon gar nicht mal so schlecht, die meisten allerdings eher unbrauchbar.
Zwischen den Schnipseln fanden sich andere Schnipsel, so drumherum-Schnipsel, allerlei Songtexte zum Beispiel, unter anderem eben: Alas, I cannot swim. Von Laura Marling.
Hätte mich heute Morgen jemand gefragt, wer Laura Marling ist, hätte ich mit: „Kenn ich nicht“ geantwortet.
Vor langer Zeit kannte ich sie aber wohl doch. Wie ist es sonst zu erklären, dass ich heute dieses feine, gute Laune bringende Lied (wieder)gefunden habe.

So.
Jetzt müsste noch die Moral des Ganzen dieses Beitrags kommen.
Kommt aber nicht.
Ätsch.

Vatertag oder: Jetzt aber raus.

washThis
Ja, das Bild passt eigentlich überhaupt nicht. Und irgendwie doch.

Man tut, was alle tun. Wie man das schon immer getan hat und auch in Zukunft immer tun wird. Weil man es eben so macht.
Das muss er sein, der Grund, warum heute, an diesem, was das Wetter betrifft, doch eher mäßigen Donnerstag, all diejenigen draußen anzutreffen sind, die normalerweise vor dem Fernseher sitzen. Zu Hause. Drinnen.
Heute nicht, heute sind sie draußen. Alle. Zu Fuß. Mit dem Fahrrad. Zur Not auch mit dem Auto, irgendwo wird schon jemand ein Zelt aufgebaut haben, wo man heiße Würstchen und Bier bekommt.

Jedes Jahr, an jedem 1. Mai, jedem Christi Himmelfahrt vergesse ich, dass ich mir ein Jahr zuvor vorgenommen hatte, an diesem Tag zu Hause zu bleiben.
(Alles wiederholt sich, in diesem Fall das Vergessen).
Dabei sollte ich gewarnt sein, schließlich gibt es schon tags zuvor Zeichen, die darauf hinweisen: Wenn ich mich auf dem Supermarktparkplatz frage, was all die Leute hier wollen (ja klar, einkaufen natürlich). Komisch, es ist doch gar nicht Samstag. Ach ja, Feiertag. Man hat ja nichts zu essen zu Hause.

Ein paar Stunden Schlaf und schon habe ich den Feiertag wieder vergessen. Bis ich dann mit dem Fahrrad dort entlangfahre, wo normalerweise außer mir noch drei andere Leute und ein Traktor unterwegs sind.
Heute ist da kein Traktor. Dafür aber vierundsechzig Radfahrer, hundertunddrei Fußgänger, sechzehn Kinderwagen, dreizehn Hunde, zwölf Inlineskater, fünfzehn Autofahrer (auf dem Weg zum Zelt), ein Pferd mit Reiter, zwölf Pferde ohne Reiter, drei Modellflugzeuge (nicht zu fassen, wie laut die sind).
Von den hundertunddrei Fußgängern haben zweiundsechzig das Zelt mit dem Bier schon gefunden. Alternativ haben sie ihr eigenes Zelt einen Bollerwagen dabei. An ihnen vorbeizufahren, macht besonders viel Spaß.
(Weil: Alles wiederholt sich, auch die wenig originellen Sprüche, die man in diesem Fall zu hören bekommt.)

Nächstes Jahr denke ich dran und bleibe zu Hause. Ganz bestimmt.

Morgen.

Schwester!
Aha. Es ist mal wieder so weit.
Schwester, wegen dem Bett, ich will doch heute Nacht hier schlafen.
Ja Frau S., Sie schlafen hier. Der H. holt Sie nachher ab und bringt Sie in ihr Zimmer.
Danke, Schwester.

Alles wiederholt sich.
Fast alles.
Wer weiß, ob wir nächstes Jahr noch einmal hierher kommen.
Hat sie letztes Jahr gesagt. Hat sie dieses Jahr gesagt.

Wer weiß.

Die Schnecken fressen die Sonnenblumen auf. Der Drucker will nicht so, wie ich will. Das Lieblingslied, zum dreihundertzweiundneunzigsten Mal. Am Wochenende sind die Mohnbrötchen immer dunkler als unter der Woche. Wir kommen immer fünf Minuten vor Feierabend vor dem Getränkeladen an (Wie lange haben die noch mal auf?). Wenn ich den Brief endlich zur Post trage, ist es Mittwochnachmittag (an Mittwochnachmittagen hat die Post geschlossen). Nachmittags ist das Benzin billiger. Immer ist die Remoulade leer.
Alles wiederholt sich.

Ist das Pfefferminztee, Schwester?
Ja, Frau S.
Danke, Schwester.

Wer weiß.

Schließlich, morgen ist auch ein Tag.“*
Wenn du dich da mal nicht täuschst, Scarlett.

* aus: Vom Winde verweht, Margaret Mitchell

Kuck mal, ein Goldstück!

Kinder sind ja so einiges. Laut, meistens. Besonders, wenn sie gerade gar kein Kind, sondern ein Dinosaurier sind. Wuaaaaahhhhh!

Einmal fürchterlich erschrecken und schon hat man jemanden glücklich gemacht. So einfach ist das. Dann muss man sich noch mal erschrecken und noch mal und noch dreizehn Mal. Irgendwann geht sogar mir die Geduld aus und ich habe keine Lust mehr, mich zu erschrecken. Wuaaaaahhhhh! verwandelt sich in: Wäääähhäähh! Du bist voll gemein! Ich will gar nie nicht mehr mit dir spielen!

Eine Minute durchatmen, während das Kind kreischend nach der Mama Ausschau hält. Eine weitere Minute: Kind erzählt der Mama, wie gemein die böse Tante ist. Noch eine Minute, dann findet das Kind das Goldstück und … will es der Tante schenken.

Da kann die böse Tante noch was lernen.

Bei den Häusern.

„Du gehst aber nicht in den Wald, oder? Es wird doch schon dunkel. Bleib bei den Häusern.“

Im Haus mit den toten Tieren hängt auch ein Gedicht an der Wand. Zwischen Wildschweinfell und Elchgeweihen ist die Rede vom Wald, der Kirche der Natur. Keine Rede davon, wer das gesagt/geschrieben hat.
Georg Graf zu Münster, behauptet das Internet und findet Webseiten von Ruheforsten und Waldbestattungen.

Es liegt im Wald ein tiefer Zauber,
der stärkt das Herz, wenn es Dir schwer.

Mein Herz war gar nicht so schwer. Höchstens – vielleicht doch. Wie schwer kann ein aufgelöstes Herz sein?
Wenn ich ein Problem habe, gehe ich in den Wald. Wenn ich in den Wald gehe, habe ich meist das Problem, dass mir die Menschen zu anstrengend werden. Dass ihr Wollen zu Auflösungserscheinungen meinerseits führt.

Ich weiß so selten, was ich will. Manchmal weiß ich, was ich nicht will. Das ist schon mal was, doch oft scheint es zu wenig, vor allem dann, wenn die Menschen um mich herum so sicher, so bestimmt sind in ihrem Wollen. Wenn ihr Wollen auf mich überschwappt, übergreift, so sehr, dass ich mich auflöse. Verschwinde.

Der Wald ist ein guter Platz, Verschwundenes wiederzufinden.
Im Wald ist so viel und doch nichts. Alles und nichts – der Wald kann Zen. Er ist still und laut zugleich. Ich bin ihm total egal und doch ist er für mich da. Bis ich mich wiedergefunden habe und zu den Häusern zurückgehe.