Leserbriefe an Autoren …

… bei denen es zu beschwerlich (unmöglich?) ist, eine Kontaktadresse herauszufinden.
Nummer 1:

 

Liebe Charlotte Inden,

bitte hören Sie niemals auf, Jugendromane zu schreiben. Ich will die alle lesen. Den ersten, „Anna und Anna“, habe ich in einer Buchhandlung entdeckt, an der Kasse setzte die Verkäuferin ein seliges Lächeln auf und sagte: „Das ist schon etwas ganz besonderes, nicht wahr?“
Ich weiß nicht?, dachte ich. Dabei wusste ich, ein bisschen, denn schon rein äußerlich betrachtet war das Buch etwas besonderes, etwas besonders Hübsches, aber ob der Inhalt da auch mithalten kann?
Ja, konnte er und ich glaube, das habe ich Ihnen sogar schon geschrieben, jetzt, wo ich die letzte Seite von „Anna und Anna“ noch einmal aufschlage und „Schreibt mehr Briefe!“ lese, erinnere ich mich daran, genau das getan zu haben.

Heute jedenfalls habe ich die letzte Seite von „Operation 5 Minus“ zugeschlagen und – ach. So sollte das immer sein, wenn man ein Buch zuschlägt. Dieses wohlige Gefühl, das einen erfüllt, dass man Hoffnung schöpft, für die Welt oder auch dafür, dass es möglich ist, Bücher zu schreiben, die Werte vermitteln, es aber nicht nötig haben, mit Moralkeulen um sich zu schlagen.

Dieses Mal habe ich das Buch in der Bücherei gefunden, es wurde mit „Freundschaft“ verschlagwortet und ja, so ungefähr stelle ich mir das bestenfalls vor mit der Freundschaft. Natürlich geht es nicht nur um Freundschaft, es geht auch darum, (der Freundschaft wegen) das Richtige zu tun oder eben das Falsche; darum, sich für letzteres zu entscheiden, aus Gründen und obwohl man weiß, dass es eben nicht das Richtige ist und schließlich auch darum, was zu tun ist, wenn das Falsche getan ist.

Das ist so ein Buch, nach dem ich erst einmal kein anderes lesen will, weil es sicher nicht an dieses heranreichen wird, und weil ich mir das Gefühl noch ein wenig bewahren will, das wohlige.

„Hoffnung ist ein Federding“, zitieren Sie Emily Dickinson im Buch. Ich hege die Hoffnung, weitere Bücher von Ihnen lesen zu können.

Weil sonst nichts mehr geht.

erdbeeren

Und es mich immer, immer glücklich macht, an einer Schale Erdbeeren zu riechen.
Einer Pappschale.

Weil ich immer an T. denke, wenn mich ein Geruch woandershin versetzt. An T., die nirgendwohin versetzt wird, nicht durch einen Geruch. An T., bei der ich andauernd ins Fettnäpfchen trete, weil ich es schon wieder gesagt habe.
„Wie das riecht!“

Weil ich bei weißem Pfeffer auch immer gleich an Sauerkraut denken muss und an Holzbretter auf einem Tisch. Weil mich die Waschmittel-Abteilung im Supermarkt glücklich macht. Genauso wie blühender Holunder, Flieder, Seidelbast. In Zitronenmelisse greifen. Sogar der Gülle-Abend in Pfunders, jedenfalls im Rückblick. Der Geruch eines Sees oder der von sonnengewärmten Kieferwäldern. Thymianwiesen. Rapsfelder. Kartoffeln, die man aus der Erde holt. Erde.

Und immer wieder der Geruch von Erdbeeren im Pappschalen.
Kleines, großes Glück.

Wer die Wahl hat.

Heute habe ich eine in Worte und Zahlen verpackte Möglichkeit im Briefkasten gefunden. Einen Wendepunkt.
Jetzt müssen wir uns entscheiden. Oder wir entscheiden uns nicht, aber das wäre ebenfalls eine Entscheidung. Alles bleibt, wie es ist, ist keine Option, dieses Mal nicht. Oder vielleicht doch, aber die Umstände werden sich auf alle Fälle ändern und was das für Auswirkungen hat – niemand weiß es, niemand kann es wissen. Vielleicht hat es gar keine Auswirkungen, vielleicht bleibt am Ende doch (fast) alles gleich. Vermutlich eher nicht.

Wirbelnde Gedanken und der ins Grobe gezimmerte Plan für den Tag kommt ins Wanken. Was nun, was tun, wie entscheiden?

Das Unvernünftige, wieder einmal zieht es mich zum Unvernünftigen. All diese Leute, die einen Plan haben, sie haben ja so Recht. Es ist doch viel vernünftiger. Man kann doch nicht ewig. Das geht doch nicht. Man muss. Das macht Sinn, ist das Richtige, Vernünftige. All diese Leute, die genau wissen, wo sie in fünf Jahren sind, wie und wo sie dann wohnen werden, leben wollen.
Ich weiß es nicht. Habe keinen Plan. Will keinen Plan.
Dinge die anderen ein Gefühl der Sicherheit geben – mir sind sie oft nur ein Klotz am Bein. Wo andere Möglichkeiten sehen, sehe ich Verpflichtungen. Wo andere mehr wollen, will ich weniger.
Vernünftig ist das nicht.
Aber vielleicht doch.

Und mittwochs gibt es Toast Hawaii.

Eine lächelt. Einer ist irgendwo anders. Eine schläft. Eine faltet ihre Serviette. Eine ruft. Eine will Kaffee. Einer redet nur mit seiner Frau. Eine muss aufs Klo. Eine ist nicht da. Eine spuckt Essen. Eine hat keinen Hunger. Eine bekommt nie ein Körnerbrötchen. Eine will ihren Teller nicht hergeben. Einer geht es nicht schnell genug. Eine will jetzt nach Hause. Eine fragt, ob sie hier übernachten kann. Eine hört nichts. Eine verstehe ich nicht. Eine versteht mich nicht. Eine will die Tasse randvoll haben. Eine will nichts in der Tasse drin haben. Eine versteckt ihre Tabletten unter einer Scheibe Wurst. Eine weiß nicht, wo ihr Platz ist. Einer ist im Krankenhaus. Einer nimmt die Sache mit Humor. Viele sind gestorben.

Harmlos.

An manchen Tagen passen das Wetter und ich einfach nicht zusammen. Im Normalfall sind das Tage wie heute, an denen alle außer mir* mit einem breiten Grinsen herumlaufen und Dinge wie „Endlich Sonne!“ oder „Endlich Frühling!“ sagen.

An solchen Tagen bleibe ich gern zu Hause. Das ist leider nicht immer eine Option, manchmal ist es unvermeidlich, das Haus zu verlassen und auf Menschen zu treffen.
Nun ja, auch unter Menschen kann man zu Hause bleiben**.

Heute ist so ein Tag. Ich habe die Jalousien heruntergelassen, meinen Kopfhörer aufgesetzt und den Lautstärkeregler nach rechts gedreht.

Aber in wenigen Stunden wird es unvermeidlich sein, mich doch unter Menschen zu begeben und spätestens, wenn mich der erste von ihnen in ein Gespräch verwickelt, ziehe ich mein Heidi-Kleidchen über.
Heidi wie Alm-Öhi und der Geißenpeter. Heidi wie: Denken Sie sich einen Namen für die Person aus, die Sie heute zum ersten Mal in ihrem Leben sehen und mit der Sie bisher noch kein einziges Wort geredet haben.

Die Leute mögen mich.
Das ist im Grunde nicht verwunderlich.
Das ist im Grunde etwas Gutes.
Das ist im Grunde so, als würde jemand Wildfremdes den Codenamen Heidi für mich wählen.
Und ich könnte es so gut verstehen.
Und ich könnte dieser wildfremden Person so gut eins auf die Nase geben***.

An den meisten Tagen bin ich ganz zufrieden damit, Heidi zu sein.
Aber manchmal wäre ich lieber Fräulein Rottenmeier.
Dann suche ich im CD-Regal nach etwas, das laut und böse ist und drehe den Lautstärkeregler nach rechts.

Manchmal habe ich Angst vor dem Tag, an dem das nicht mehr hilft.

 

* gefühlt
** Falls Sie sich fragen, wie das möglich ist – lesen Sie sich einfach durch complicissimus, Kategorie „vom Sichtbar werden“
*** Was ich natürlich nicht tue.

Immer wieder montags*

… habe ich Geburtstag. Das ist natürlich völlig unmöglich, wenn man es vernünftig betrachtet, aber hey, ich schreibe und als Schreibende muss ich schon auch daran arbeiten, ein bisschen seltsam zu sein**.

Jedenfalls habe ich immer! montags Geburtstag.

M. kennt das Problem, obwohl das natürlich noch weniger sein kann, denn M. hat einen Tag nach mir Geburtstag***. Und natürlich kann das doch sein, denn montags ist selbstverständlich nur eine Metapher für „unter der Woche“, wobei der Freitag von „unter der Woche“ ebenso selbstverständlich ausgeschlossen ist.

M. hat – genau wie ich – auch schon festgestellt, dass B. im Gegensatz zu uns immer! am Wochenende Geburtstag hat. Oder B. feiert am Wochenende, so dass man selbst dann, wenn man ausnahmsweise doch am Wochenende Geburtstag haben sollte, aber mit der Planung mal wieder zu langsam war und/oder B. einen viel runderen Geburtstag hat, als man selbst, dies als guten Grund nimmt, die Sache mit der Planung auf den Tag zu verschieben, an dem man doch mal wieder am Wochenende Geburtstag hat.

Womit ich jetzt bei Ostern wäre****.

Früher hatte ich wenigstens noch am Ostermontag Geburtstag, aber das ist lange her, Ostern findet neuerdings immer! im April statt.

Dass ich letztes Jahr an einem Sonntag Geburtstag hatte und sogar die Sache mit der Planung geklappt hatte, das war eine erstaunliche Ausnahme, die sich mit Sicherheit so schnell nicht wiederholen wird.

*****

 

* inspiriert von einem Cindy & Bert Song, der – und das ist das Interessante daran – eigentlich „Immer wieder sonntags“ lautet.
** Ein Henne-Ei-Problem, vielleicht.
*** Herzlichen Glückwunsch!
**** denn „der Tag, an dem ich mal am Wochenende Geburtstag habe“ ist selbstverständlich ein Synonym für „den Tag, an dem Weihnachten und Ostern …“ – Sie wissen schon.
***** Dieser Beitrag, das haben Sie vermutlich längst durchschaut, wurde nur geschrieben, weil ich den Hals nicht voll genug kriegen kann weil ich kürzlich ein Gespräch über Rückmeldungen geführt habe und darauf hingewiesen wurde, einfach öfter mal „Hallo! Hier bin ich!“ zu sagen. Somit dürfte dieser Beitrag eigentlich nie veröffentlicht werden, weil ich das ziemlich unverschämt finde, aber ein neues Jahr ist angebrochen, ich mache jetzt alles anders oder eben auch nicht.

Von Brötchen und Brötchen.

Die Welt ist böse und gemein.

Meine ja nicht so.
Heute Abend habe ich in der Brötchentüte ein Duplo gefunden.
Nanu, dachte ich. Wo kommt das jetzt her?
Vom Bäcker natürlich. Genauer: von der Bäckersfrau.

Es fing damit an, dass ich kürzlich schon mal beim Bäcker war. Ich war sowieso schon ziemlich oft beim Bäcker, auch bei diesem. Bei diesem Bäcker nehme ich normalerweise ein Brot mit, weil es dort das beste aller Brote gibt. Aus diversen Gründen nahm ich kürzlich dann aber doch kein Brot mit, sondern Roggenbrötchen.
Von denen der MMM später ungefähr zwei Drittel gegessen hat.

Begeisterung hört sich beim MMM normalerweise so an: „Jo*.“
Seit den Roggenbrötchen weiß ich nun auch, wie sich echte, überbordende Begeisterung beim MMM anhört**.

Heute Mittag stand ich dann schon wieder beim Bäcker. Beim Bäcker, bei dem ich normalerweise ein Brot kaufe, weil es dort das beste aller Brote gibt.
Weil es dieses Mal keine diversen Gründe gab, die dagegen sprachen, habe ich auch direkt eins gekauft, ein bestes aller Brote. Und obwohl es somit mindestens einen Grund gab, der gegen Roggenbrötchen sprach, habe ich auch Roggenbrötchen gekauft. Und dabei erwähnt, wie gut die bei uns angekommen sind.

Und da muss es wohl passiert sein.

Ich sah noch, wie die Bäckersfrau lachte, aber dann war ich damit beschäftigt, Geldstücke aus dem Portemonnaie zu holen.
Da passt man mal einen Moment nicht auf, schon hat man ein Duplo in der Bäckerstüte.
Die Welt ist eben doch schön.

* Man muss es live hören. Nur dann kann man ein freudiges Jo von einem „nee, eher nicht“-Jo oder einem „mir doch egal“-Jo unterscheiden. Schriftlich sieht das nämlich doch sehr gleich aus.
** Na gut, das ist gelogen, ich wusste das auch vorher schon.

Du, erzähl mal!*

„Die Soziologin Gabriela Christmann vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung bezeichnet den Erzählsalon als eine soziale Innovation.“
(aus: „Das Leben lässt man sich schriftlich geben“, Florian Ney, FAZ vom 20.03.2015)

Ein Erzählsalon, so der Artikel, sei eine Veranstaltung, bei der Menschen zusammenkommen, um sich ihre (Lebens)Geschichte(n) zu erzählen. Beziehungsweise um als Zuhörer aus den Geschichten der anderen zu lernen, zu verstehen, sich weiterzuentwickeln.

Eine Innovation.

Ich hatte mal ein Buch in der Hand, dessen Autor und Titel ich leider vergessen und spontan auch nicht wiedergefunden habe, es hieß sinngemäß: Die ganze Ratgeberliteratur kannst du dir schenken, frag lieber deine Oma.

Nun habe ich keine Oma mehr und die eine, an die ich mich erinnere, hat mehr mit Taten als mit Worten Eindruck hinterlassen.
Aber es gibt trotzdem einen, den ich fragen kann, einen, der mir Geschichten erzählt und an den dachte ich beim Lesen dieses Artikels.

Studierte!, würde er vielleicht sagen, wenn ich ihm erzähle, dass das, was für ihn alltäglich ist, von Frau Christmann innovativ genannt wird. Und zu diesen Studierten würde ihm vermutlich sogleich eine passende Geschichte einfallen.

Willkommen im Erzählsalon.

 

* Titel mal wieder gemopst, heute von diesem Buch von Elma van Vliet.