Auf die Ohren.

Kürzlich waren wir schwimmen. Schwimmen ist ein super Sache, blöd nur, wenn man Wasser in die Ohren bekommt (was ja nicht ausbleibt) und auf einmal nichts mehr hört. Na ja, weniger hört als zuvor.
Das war natürlich abzusehen, hatte ich doch vorher schon weniger gehört und dachte fürchtete, mal wieder zum Arzt zu müssen, Ohren ausspülen.

Nun hatte mir der Badesee die Entscheidung abgenommen.

Ging ich also zum Hausarzt, zum alten, jetzt wieder neuen. Der neue alte hatte das immer höchstselbst erledigt, mit einer antik anmutenden Riesenspritze. Der aktuelle sagte, das mache er man nicht mehr selbst, da müsse ich zum HNO-Arzt.

Bei dem man natürlich nicht einfach so vorbei gehen kann, da braucht man einen Termin. Den ich immerhin schon zwei Tage später bekam.
Einen Termin haben, heißt allerdings noch lange nicht, dass man auch zu eben diesem Termin drankommt. Wo käme man da hin. Immerhin musste ich nur eine dreiviertel Stunde warten, bis ich aufgerufen wurde.

In dieser dreiviertel Stunde funktionierten das gänzlich und das fast verstopfte Ohr dann doch noch gut genug, um Wartezimmergespräche mitanzuhören. Am liebsten wäre ich geflohen, eine andere Möglichkeit wäre gewesen, den Sprechenden die Zeitung überzuhauen, auf die ich mich nun nicht mehr konzentrieren konnte, ganz sicher hätte ich aber sagen sollen, dass ich hier nicht die schweigende Zustimmung vertrete, sondern im Gegenteil gänzlich anderer Meinung bin.
Es ging, man kann es sich vielleicht denken, darum, wie schlecht es uns allen doch geht, besonders den Rentnern. Die Jungen, die arbeiten ja nichts mehr, überhaupt arbeitet kaum einer mehr was, stattdessen bekommen alle Sozialhilfe und die da oben, die Politiker, furchtbar, die haben doch keine Ahnung, die lügen uns nur an. Und die Grenzen, die hätte man natürlich zumachen sollen, wer soll denn das alles bezahlen und auf die Straße kann man auch nicht mehr, da sind überall Ausländer, das ist nicht mehr sicher und dann schalten sie auch noch die Videoüberwachung ab. Aber man darf ja nichts sagen, sonst würde man gleich als Nazi, Antisemit, Rassist, was auch immer beschimpft. Nazi! Und das müssen wir uns bieten lassen, bin ich doch nach dem Krieg geboren. Sagte sie. Und ihren Vater, den hätte sie gefragt, der war bei der Wehrmacht, die hätten natürlich nichts, überhaupt nichts von dem gewusst, was in den Konzentrationslagern und überhaupt überall passiert ist.

Ja klar.

Es geht uns allen wirklich furchtbar schlecht. Dir vor allem, die du ein Haus hast (in dem du allerdings nicht schlafen kannst, weil die Mähdrescher bist kurz nach Mitternacht an deinem Schlafzimmerfenster vorbeifahren, schlimm), einen Mann hast du auch noch, der hat sogar noch Arbeit, beim Schwiegersohn, Familie also auch, wobei, das mit der Arbeit des Mannes ist vielleicht sogar eher schlecht, ist er doch eigentlich schon Rentner (aber was würde er mit all der freien Zeit nur machen?), du gehst andauernd zum Arzt, das ist natürlich nicht gut, aber hey, es gibt Ärzte und du kannst hingehen, einfach so, Krankenkasse sei Dank, natürlich hast du dafür bezahlt, ich weiß. Am Essen mangelt es dir augenscheinlich auch nicht, vermutlich kommt (warmes) (Trink)Wasser aus den Leitungen, wann immer du willst und ach, verdammt, am meisten ärgere ich mich ja doch über mich selbst, weil ich nichts dazu gesagt habe.

Meine dreiviertel Stunde war dann nämlich um, ich durfte ins Behandlungszimmer, eine nicht ganz so freundliche, eher nun ja, der halbe Tag ist schon vorbei, aber die andere Hälfte steht leider noch bevor Arzthelferin schaute mir ins Ohr, ging dann wieder, ich schaute mir Plakate an, Falten entfernen, stand da und ich staunte darüber, wo man überall Falten haben kann, die man lieber nicht hätte, nervte mich noch ein wenig darüber, dass ich womöglich wegen all den Faltenentfernern so lange warten muss.
Wenig später kam der Arzt ins Zimmer geweht. Mist, dachte ich, das ist so einer, der im Grunde gar nicht da ist. Hallo, sagte er, schaute mir ebenfalls kurz in die Ohren und verbrachte die meiste Zeit, also ungefähr zwei Minuten damit, Dinge in den PC einzutippen. Und schon war er wieder weg. Wünschte mir immerhin noch alles Gute.

Die Arzthelferin kam zurück, legte ein Handtuch auf meine Schulter, drückte mir eine Schale in die Hand, die ich unters Ohr halten sollte und machte im Grunde genau das gleiche wie mein alter Hausarzt, nur eben nicht mit der antiken Riesenspritze, sondern mit einem an eine Maschine angeschlossenen Schlauch. Beim ebenjenem Hausarzt fühlte ich mich dennoch aufgehobener, besonders, als die Arzthelferin mir dann noch mit einem Stäbchen(?) im Ohr herumfuhrwerkte.

Immerhin hörte ich jetzt aber wieder. Auf der einen Seite zumindest. Die andere bemängelte ich, aber da wäre nur Wasser drin, ich solle den Kopf mal zur Seite legen, tatsächlich, es wurde besser, aber irgendwie – hm. Sie sah sich die Seite noch einmal an und war zufrieden mit sich.

Am besten machen Sie das alle halbe Jahre, sagte sie zum Abschied.
Aber sicher nicht bei Ihnen, dachte ich.
Sagte aber schon wieder nichts.

Allgemein

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